Mitch - Herz im Dunkeln
nichts anmerken. Er packte das dicke Ende des Astes, an den Chip sich klammerte. Aber der Ast gab nicht nach. Becca legte ihre Taschenlampe aus der Hand und fasste mit an. Es zeigte sich rasch, dass sie das verdammte Ding auch zu zweit nicht freibekommen würden, um den Jungen auf diese Weise aus dem Wasser zu ziehen.
Der Regen prasselte gnadenlos und lief Becca in Strömen vom Hut.
„Ich muss zu ihm hinunterklettern“, rief sie Casey zu.
Er wischte sich mit einer Hand das Wasser aus dem Gesicht, obwohl das völlig sinnlos war. „Nein“, erklärte er. „Ich werde das machen.“
„Sind Sie verrückt geworden? Der Ast wird Ihrem Gewicht nicht standhalten!“
„Ihrem möglicherweise auch nicht.“
„Halten Sie meine Beine fest“, forderte sie ihn auf. „Wenn der Ast bricht, während ich mich daran festhalte, können Sie uns beide herausziehen.“
Die Idee gefiel ihm nicht, doch Becca gab ihm keine Zeit, zu widersprechen. Im nächsten Moment hangelte sie sich Zentimeter für Zentimeter an dem Ast entlang.
Sie spürte seine Hände an ihren Beinen und sah Chips blasses, verängstigtes Gesicht vor sich, als es erneut blitzte.
Der Junge bewegte sich auf sie zu, während sie sich ihm näherte.
Sie war schon ganz nah dran. Noch ein kleines Stückchen, und …
Dann passierte alles ganz schnell.
Ein flussabwärts rasendes Holzstück traf Chip mit voller Wucht an der Brust. Mit einem Aufschrei verlor er den Halt und ließ den Ast los.
Becca schrie ebenfalls. Die Augen des Jungen waren vor Entsetzen geweitet. Seine Finger griffen nach ihr. Dann verschwand er unter Wasser.
Becca wurde nach oben gezogen und ans Ufer geworfen. Casey kletterte in Windeseile über die Felsen. Sie nahm die Taschenlampe und leuchtete damit auf den Fluss. Im Stillen betete sie, dass Chip es gelungen sein möge, den Ast festzuhalten. Verzweifelt hielt sie Ausschau nach dem blonden Schopf des Jungen.
Da! Sie sah ihn!
Um Himmels willen, nein! Der Junge wurde flussabwärts getrieben. Nur noch wenige Sekunden, dann würde er auf die Stromschnellen treffen.
Aber dann entdeckte sie Casey, der oben am Flussufer entlangrannte, genau auf die Biegung des Flusses zu. Er sprang anmutig und athletisch kopfüber ins Wasser.
Dann war er außerhalb der Reichweite ihrer Taschenlampe, und Becca sah nichts mehr.
Mitch wusste während dieser sich endlos dehnenden Sekunden des Sprungs instinktiv, dass er schwimmen konnte.
Und er konnte nicht nur ein bisschen paddeln, sondern richtig schwimmen. So unwohl er sich im Sattel gefühlt hatte, hier im Fluss war er in seinem Element. Im Wasser war er zu Hause wie sonst nirgendwo auf der Welt.
Er tauchte ein, und das Wasser packte ihn, zerrte an ihm, wirbelte ihn herum und nahm ihn mit flussabwärts. Mitch schwamm mit der Strömung und nutzte ihre Kraft, um wieder aufzutauchen. Oben musste er erneut gegen die Strömung ankämpfen, während er nach dem Jungen Ausschau hielt.
Er sah das Treibgut kommen – es sah fast aus wie ein kompletter Telefonmast. Er schaffte es nicht, ihm ganz auszuweichen. Das Ding traf ihn hart in die linke Seite, drückte ihn wieder unter Wasser und wirbelte ihn ein weiteres Mal herum. Ein glühender Schmerz durchfuhr ihn, der noch ein bisschen schlimmer wurde durch das Wasser, das er schluckte.
Trotz des Schmerzes schwamm er mit kraftvollen Bewegungen nach oben und schoss aus dem Wasser. Er prustete, spuckte das geschluckte Wasser aus und sog tief Luft in seine Lungen.
Unvermittelt wurde ihm der Junge direkt in die Arme gespült.
Wenn er vorher nicht an den Einfluss einer höheren Macht geglaubt hatte, so tat er es jetzt.
Mitch ließ sich erneut mit der enormen Strömung treiben und nutzte seine Kraft als Schwimmer, um sich und den Jungen ans felsige Ufer zu lenken.
Endlich erreichten sie es, und er zog sich aus dem Wasser. Seine Rippen schmerzten höllisch. Chip klammerte sich noch immer an seinem Hals fest. Beide, Mann und Junge, schnappten nach Luft.
Becca eilte zu ihnen und zog den Jungen weiter hinauf ans sichere Ufer. Dann half sie Casey.
Im Schein der Taschenlampe sah er, dass sie ihren Hut verloren hatte. Ihre dunklen Locken klebten ihr am Kopf. Die Bluse unter ihrer Jacke war durchnässt und klebte an ihren Brüsten. Es war gar keine Bluse, wie ihm beim näheren Hinsehen auffiel. Becca trug ein Nachthemd. Und absolut nichts darunter. Sie besaß einen fantastischen Körper! Aber es waren vor allem ihre Augen, in die er erneut blicken wollte. Er las Zuneigung in
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