Mitch - Herz im Dunkeln
ihnen und Erleichterung. Sie waren wunderschön.
Er hätte die ganze Nacht im Regen sitzen und auf Blitze warten können. Denn jedes Mal, wenn es blitzte, sah er ihr Gesicht.
Aber Becca stand mit Chip auf den Armen auf. „Machen wir uns auf den Rückweg.“
Ted Alden, Chips Vater, kam aus der Blockhütte, die die Familie gemietet hatte. „Der Arzt sagt, er hat ein paar gebrochene Rippen. Aber seine Lungen sind in Ordnung, und sein Blutdruck ist gut. Wir beobachten ihn für den Rest der Nacht, um sicherzugehen, dass er keine inneren Verletzungen hat.“
Es hatte aufgehört zu regnen, und die Wolken brachen auf. Becca konnte die ersten Sterne am Himmel funkeln sehen. „Brauchen Sie Hilfe?“, erkundigte sie sich. „Sie sehen ziemlich müde und geschafft aus.“
Alden fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. „Nein, wir haben den Wecker gestellt. Und Ashley hat ihren auch gestellt. Für alle Fälle.“
„Na schön. Melden Sie sich, falls Sie mich brauchen.“
„Danke.“
Becca wandte sich zum Gehen, aber er hielt sie auf.
„Wir haben in diesem Urlaub nur für Ärger gesorgt. Werden Sie uns morgen auffordern, abzureisen?“
Sie musste lachen. „Sie meinen, so wie ich Travis Brown zur Abreise aufgefordert habe?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Ich habe nicht vor, es mir zur Gewohnheit zu machen, meine zahlenden Gäste von der Ranch zu jagen. Das ist schlecht fürs Geschäft.“
„Bitte richten Sie diesem Cowboy noch einmal meinen Dank aus“, sagte Alden. „Wenn Sie beide nicht gewesen wären, hätte Chip nicht …“
… hätte Chip nicht überlebt, beendete sie in Gedanken den Satz.
Sie wusste genau, was Ted Alden nicht aussprechen konnte – sein Sohn wäre ums Leben gekommen. Und sie hatte herzlich wenig mit der Rettung des Jungen zu tun gehabt. Wenn Casey Parker nicht gewesen wäre, müssten sie jetzt den Fluss nach dem zerschmetterten, leblosen Körper des kleinen Jungen absuchen.
Becca musste plötzlich schlucken, heiße Tränen stiegen ihr in die Augen. „Ja, ich werde ihm Ihren Dank ausrichten“, versprach sie. „Geben Sie Chip einen Gutenachtkuss von mir, ja?“
Alden nickte und schloss die Fliegentür.
Es musste an der Müdigkeit liegen, dass all diese Gefühle in ihr aufwallten. Becca konnte sich nicht einmal daran erinnern, wann sie das letzte Mal geweint hatte. Und doch war sie nun so weit, sich irgendwo zusammenzurollen und hemmungslos wie ein Baby zu heulen.
Dabei war doch alles wieder gut! Der Junge war gerettet und in Sicherheit. Trotzdem musste sie immer wieder daran denken, was hätte passieren können. Ständig sah sie diese Angst im Gesicht des Jungen, als er von den Fluten fortgerissen wurde. Warum hast du mich nicht gerettet?, schien sein Blick in diesem Moment zu fragen. Wenn Chip ertrunken wäre, hätte sein Gesicht sie für den Rest ihres Lebens verfolgt.
Wenn Chip gestorben wäre …
Was wäre geschehen, wenn Casey nicht da gewesen wäre mit seiner Fähigkeit, wie irgendein Geschöpf aus dem Meer zu schwimmen? Und wenn der Fluss ihn an dem Jungen vorbeigetrieben hätte? Was wäre gewesen, wenn …?
Ihr Magen zog sich zusammen, und ein bitterer Geschmack legte sich auf ihre Zunge. Sie musste sich setzen, direkt an den Rand des schlammigen Weges. Es kostete sie einige Mühe, sich nicht zu übergeben. Sie klammerte sich an ihre nasse Jacke und schlang sie fest um sich. Im Stillen betete sie, diese Übelkeit möge rasch vorbeigehen.
„Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“ Die Stimme kam aus dem Dunkel, sanft und leise.
„Ja“, log sie und hielt den Blick gesenkt. Sie wollte Casey nicht in die Augen sehen, sie würde sich sonst nur in ihren Tiefen verlieren. Außerdem sollte er nicht merken, wie erschüttert sie war. „Ich bin nur … ich bin …“
Er setzte sich neben sie. Sie spürte es mehr, als dass sie es sah. Und sie spürte seine Nähe und Wärme. Er sagte nichts. Er saß einfach nur da, während sie zu atmen versuchte. Sie musste ihr verdammtes Zittern unter Kontrolle bringen und ihre Fassung wiederfinden, um wieder klar denken zu können.
Als er schließlich sprach, glaubte Becca, sich das vielleicht nur einzubilden. Seine sanfte Stimme passte zum samtweichen Licht der frühen Morgendämmerung.
„Ich glaube, ich bin noch nie geritten“, sagte er. „Jedenfalls nicht mehr seit meiner Kindheit. Dabei weiß ich gar nicht, wieso ich es nie mehr probiert habe. Es war toll. Aufregend. So ähnlich wie fliegen. Aber das wissen Sie natürlich alles. Sie
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