Mitch - Herz im Dunkeln
nur irgendwie vertraut vor.
Die Telefonnummer, die er aus der Personalakte hatte, existierte genauso wenig.
Er brachte fast zwei Tage damit zu, durch Albuquerque zu laufen, auf der Suche nach irgendetwas, das ihm bekannt vorkam oder eine Erinnerung auslöste.
Am vertrautesten war ihm noch das Einkaufszentrum vorgekommen sowie das Anprobieren des Anzugs. Als er das Jackett überzog und sich im Spiegel betrachtete, hatte er das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Er hatte früher auch Anzüge getragen, aber das Jackett war jedes Mal anders gewesen. Da war etwas mit dem Kragen oder dem Revers oder … Er betrachtete sich so lange im Spiegel, bis der Verkäufer nervös wurde … aber die Antwort fiel Mitch nicht ein. Wie konnte ein Jackett anders sein? Jacketts für Männer waren seit fast hundert Jahren gleich. Das ergab überhaupt keinen Sinn.
„Wie fühlst du dich?“, erkundigte Becca sich.
„Schon viel besser“, antwortete er. „Allerdings wäre ich dir dankbar, wenn du noch einen oder zwei Tage davon absehen könntest, mir mit dem Ellbogen in die Rippen zu stoßen.“
Sie lachte. „Ich werde es versuchen.“
Becca sah wirklich wunderschön aus in ihrem aufregenden Kleid, dessen hauchdünne, eigentlich kaum vorhandene Träger die technische Meisterleistung vollbrachten, die Vorderseite des Kleides oben zu halten. Es war aus einem schimmernden Stoff geschneidert, nicht richtig weiß, auch nicht ganz golden. Der Farbton lag irgendwo dazwischen und brachte ihre goldbraunen Locken nahezu perfekt zur Geltung. Sie hatte sogar versucht, ihre Haare zu frisieren, indem sie Haarklammern benutzte. Aber es blieb widerspenstig. Das entlockte Mitch ein Lächeln.
„Deinen Cowboyhut hast du ausnahmsweise zu Hause gelassen, was?“
„Nein, der liegt im Wagen“, entgegnete sie.
Mitch hielt den Blick lieber auf ihr Gesicht gerichtet, weg von all der glatten Haut, dem weißgoldenen Stoff, der aufreizend ihre Brüste und ihren Bauch umschmiegte und bis zum Boden reichte. Aber dann konnte er doch nicht widerstehen und musste wenigstens auf ihre Füße schauen.
„Nein“, sagte sie, „ich trage keine Cowboystiefel.“ Zum Beweis hob sie den Saum ihres Kleids ein Stückchen an.
Ihre Schuhe sahen aus wie Cinderellas Schuhe, zart und elegant. Genauso sexy wie das Kleid.
Sie lächelte ihn an, und obwohl er hier heute Abend mit dem Feuer spielte, entspannte er sich allmählich. In Albuquerque hatte er keine Antworten gefunden. Vielleicht würde er niemals erfahren, woher er kam und was er getan hatte. Und vielleicht war das vollkommen in Ordnung so.
„Ist es dir gestattet, zu tanzen?“, erkundigte er sich.
Becca war klar, dass er auf ihre Kein-Sex-Regel anspielte. Sie dachte darüber nach. „Ich glaube, das geht, zumindest solange wir uns in der Öffentlichkeit befinden. Klar, wir können tanzen. Aber erst nach dem Abendessen.“
„Warum erst nach dem Essen?“, fragte Mitch amüsiert und ahnungslos.
Sie leerte ihr Champagnerglas, stellte es auf einen Tisch und schenkte Mitch ein Lächeln, das ihm die Seele erwärmte. „Weil ich am Verhungern bin.“
Sie ging zur Tür, und er folgte ihr ins Restaurant.
Wahrscheinlich wäre er ihr überallhin gefolgt.
„Sie zog nebenan ein, als ich in der zweiten Klasse war“, erklärte Becca Mitch.
Sie hatten einen Tisch in einer ruhigen Ecke des Restaurants gefunden, wo sie sich während des Essens über Bücher und Filme unterhielten. Genauer gesagt war Becca diejenige, die das Reden übernahm. Mitch hörte hauptsächlich zu.
Er lauschte noch immer ihren Worten, schaute sie dabei an und schenkte ihr seine ganze Aufmerksamkeit. Der Ausdruck in seinen Augen, seine ganze Haltung verrieten, wie gebannt er ihr zuhörte. Sein Gesicht wurde sanft erhellt vom flackernden Licht der einzelnen Kerze auf dem Tisch. Es war ein wenig beunruhigend, so im Zentrum dieser konzentrierten Aufmerksamkeit zu stehen. Aber es war auch sehr schön – als sei alles, was sie sagte, von Bedeutung. Als wollte er kein einziges Wort von ihr verpassen.
„Auf der Highschool waren wir unzertrennlich“, fuhr sie fort. „Und als wir aufs College gingen, hielten wir immer noch engen Kontakt. Peg wollte Erzieherin werden, ich Tierärztin.“ Sie winkte ab. „Leider hasste ich es. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe – wahrscheinlich ein paar Semester Studium und dann eine gewisse Zeit als Assistenzärztin. Ich dachte, ich würde mit dem Landtierarzt durch die Gegend fahren und bei der Geburt
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