Mitch - Herz im Dunkeln
da ihre Arme und ein Großteil ihres Rückens in dem langen Kleid nackt waren, hieß sie die Wärme willkommen.
Draußen hielten sich nur wenige Leute auf. Becca war froh, der Menschenmenge für einen Moment entkommen zu sein. Sie nippte an ihrem Champagner und betrachtete die festlichen Lichter, mit denen die Terrasse geschmückt war.
Mitch würde nicht kommen.
Selbst wenn er doch noch auftauchte, würde es ihm peinlich sein, das vornehme Restaurant in Jeans und T-Shirt zu betreten.
Der Mond leuchtete silbern am Himmel, viel schöner als die in der sanften Brise schaukelnden Lichterketten. Der Wind trug den Duft von Blumen herüber, ein weiterer Beweis dafür, dass die Natur für die betörendste Dekoration sorgte.
Becca sah zum Mond hoch und wollte nicht darüber nachdenken, ob sie Mitch jemals wiedersehen würde.
Wenn sie ihn nicht wiedersehen würde, dann sei’s drum! Er war da gewesen, als es darauf ankam – um Chips Leben zu retten. Wenn sie wählen müsste zwischen diesem Ereignis und seinem Erscheinen heute Abend müsste sie nicht lange nachdenken. Sosehr sie Mitch auch mochte – dass Chip gesund und munter war, bedeutete ihr mehr. Selbst wenn Mitch tatsächlich nicht mehr auftauchte, hatte die Möglichkeit seines Erscheinens sie immerhin dazu gebracht, heute Abend dieses Kleid zu tragen.
Es hatte seit Jahren ganz hinten in ihrem Kleiderschrank gehangen. Und davor hatte es jahrelang ganz hinten im Kleiderschrank ihrer Mutter gehangen, schon vor Beccas Geburt. Ihre Urgroßmutter hatte es in den 1930ern genäht. Es war elegant, schick und unbestreitbar sexy. Ganz unverhohlen sexy sogar.
Definitiv nichts, was sie jeden Tag trug.
Sie hörte, wie die Tür zum Restaurant geöffnet wurde, gleich einer Pforte zu einer anderen Welt. Für einen Moment schwollen die Musik und das Gelächter an, bevor die Tür wieder zuging, sodass nur noch das herzhafteste Lachen und das gedämpfte Geschirrklappern aus der Küche zu hören waren.
Becca drehte sich um und entdeckte einen Mann in einem dunklen Anzug. Er war an der Tür stehen geblieben, offenbar um sich zu orientieren. Es war nicht Mitch – seine Haare waren zu kurz, und der Anzug sah teuer aus. Becca wandte sich wieder ab. Doch aus dem Augenwinkel registrierte sie, dass er die Bar am anderen Ende der Terrasse musterte, die Paare, die sich leise im Dunkeln unterhielten, die Lichterketten, die Blumen, die Bäume, den Mond.
Den Mond betrachtete er eine ganze Weile.
Sie kehrte ihm den Rücken zu, bevor er die Gelegenheit bekam, sie ein zweites Mal anzusehen.
Beccas Kleid hatte diese Wirkung auf Männer – sie riskierten einen zweiten Blick. Und einige Männer waren tatsächlich so kühn, sie anzusprechen.
Sie hörte seine näher kommenden Schritte auf dem Backsteinboden. Er ging auf sie zu.
Becca drehte sich zur Tür um, bereit, ihm auf ihrem Weg zurück ins Restaurant höflich zuzunicken und …
„Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe. Aber der Bus aus Albuquerque hatte eine Reifenpanne.“
Mitch?
Er war es. Er hatte sich die Haare schneiden lassen, sich gründlich rasiert und sich einen Anzug besorgt.
„Du siehst umwerfend aus“, sagte er mit einer Stimme, so samtig wie dieser Abend.
„Du aber auch.“ Sie klang ebenfalls ein wenig heiser.
Ein schiefes Lächeln erschien auf seinem Gesicht, und um seine Augen bildeten sich kleine Lachfältchen. „Ja, ich habe mich ganz schön in Schale geworfen, was?“
Becca berührte den federleichten Wollstoff seines Jackettärmels. „Wo um alles in der Welt hast du das Geld dafür her?“
Er wich einen kleinen Schritt zurück und schob die Hände in die Taschen. Mit dieser Geste erinnerte er sie: kein Sex. Keine Berührungen. „Ich habe mir Geld von meinem Schweizer Bankkonto überweisen lassen.“
Becca lachte. „Verzeih mir, ich hätte nicht fragen sollen! Es geht mich schließlich nichts an.“
„Die Wahrheit ist: Ich hatte ein wenig Bargeld“, erzählte Mitch. Er hatte gehofft, seine restliche Kleidung sowie andere Dinge – wenigstens Bücher, denn er hatte ganz sicher welche – bei der Adresse vorzufinden, die er in seiner Personalakte gefunden hatte. Doch nachdem er den ganzen Weg nach Albuquerque zurückgelegt hatte, musste er dort feststellen, dass die Anschrift gar nicht existierte. Zwar gab es die Straße, aber nicht die Hausnummer. Es handelte sich um ein Geschäftsviertel, in dem es heruntergekommene Pfandleihhäuser und schmierige Oben-ohne-Bars gab. Nichts dort kam Mitch auch
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