Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation
sich eine unheilvolle Realität zu schaffen – nach dem Muster einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung . Beispiel: Jemand schaut bei seinem Nachbarn vorbei, vermutet dabei gleich: «Bestimmt störe ich!» – Diese Phantasie beeinflusst sein Verhalten: Ohne innere Ruhe und halbherzig ist sein kurzer Besuch – es kommt keine behagliche Atmosphäre auf. Wenn sich dies einige Male wiederholt, fühlen sich die Nachbarn am Ende wirklich gestört, da sie mit dem Besuch kein erquickliches Beisammensein verbinden – der Teufelskreis einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung hat sich geschlossen. Es ist aufregend zu entdecken, in welch starkem Maße wir heimlicher Regisseur unseres Schicksals auch dort sind, wo wir ihm passiv zu erliegen scheinen .
Phantasien als Kontaktbrücke. Es ist wundersam, wie grundverschieden wir mit unseren Phantasien umgehen können, einem Baumaterial, das sich gleichermaßen zur Herstellung von Käfigen wie von Kontaktbrücken verwenden lässt (s. Abb. 33).
Abb. 33:
Phantasien über innere Vorgänge des Gesprächspartners können entweder zum Bau von «Käfigen» oder aber als «Kontaktbrücke» benutzt werden.
Eindrucksvoll war für mich folgende Begebenheit: Ein Kollege aus der Schweiz war zu mir nach Hamburg gekommen – wir hatten verabredet, einen Kursus für meine Studenten zusammen zu leiten. Während wir an der Elbe spazieren gingen, um den Kursus zu planen, sagte er mit einem Mal: «Ich möchte gerne einmal meine Phantasien aussprechen, die ich über deine Gedanken und Gefühle habe und die mich, wie ich merke, beunruhigen. Und ich möchte, dass du mir dann sagst, was davon wirklich der Fall ist.» – Und dann schlüpfte er in meine Rolle und legte los: Christoph (als Friedo): «Jetzt ist der Christoph also gekommen. Verabredet hatten wir das ja, aber das ist lange her – und jetzt fühle ich mich gebunden an die Verabredung, aber in Wirklichkeit ist es mir doch lästig, ihn in mein Konzept einzuweihen, seine Gesichtspunkte zu berücksichtigen – ich bin nicht mehr mein eigener Herr. Und wird er mir nicht die Studenten in ein anderes Fahrwasser treiben? … (usw.) – so sprach, so «phantasierte» er noch eine Zeitlang und drückte dabei vieles von seinen Hoffnungen und Befürchtungen aus.
Ich hörte fasziniert zu, merkte, dass manches zutraf, obwohl ich mir das selbst noch gar nicht klargemacht hatte. Anderes wiederum traf nicht zu. – Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass diese «Übung» uns in einen engen Kontakt gebracht hat.
Zuweilen begegne ich dem Einwand: «Aber was nützt es mir, unheilvolle Phantasien auch noch bestätigt zu bekommen? So offen ausgesprochen macht es alles noch schlimmer!» – Auch dies ist eine Phantasie, aus der ein Käfig gebaut wird. Die Erfahrung lehrt dreierlei: Erstens, das Unausgesprochene belastet die Kommunikation stärker («dicke Luft»). Zweitens, unausgedrückte Gefühle verwandeln sich in Gifte, die Leib und Seele von innen her angreifen. Drittens, ausgedrückte Gefühle ermöglichen eine Veränderung der emotionalen Realität: Erst wer seinen Hass, Ärger, seine Abneigung ausgedrückt hat, kann auch wieder Liebe fühlen. Der Behälter der Liebe ist oft mit dem Korken der unausgedrückten negativen Gefühle verschlossen – der Korken muss heraus, dann kann wieder etwas fließen, kommt wieder etwas in Fluss.
Nun noch der vierte Leitsatz zum Umgang mit Phantasien: Ob meine Phantasien zutreffen, kann nur der andere entscheiden. Ich bin nicht Fachmann für seine Innenwelt , kann nicht wissen, was er «wirklich» fühlt und «wirklich» möchte. Jede Botschaft von der Art «Ich weiß besser als du, was mit dir los ist» schadet der Kommunikation und grenzt an Psychoterror.
Übung
Besinnen Sie sich auf einen Menschen, demgegenüber Sie einige «ungute Gefühle» haben!
a) Schlüpfen Sie in die Rolle dieses Menschen und sprechen Sie (in Ich-Form) aus, was er über Sie denken und fühlen mag – lassen Sie ihren Phantasien freien Lauf.
b) Überlegen Sie, ob und wie es angemessen sein könnte, diese (Ihre) Phantasien auf Realität zu überprüfen.
c) Falls Sie es «gewagt» haben: Welche Erfahrungen haben Sie bei diesem Gespräch gemacht?
4.
Die Verantwortung des Empfängers für seine Reaktion
Aus den bisherigen Ausführungen sollte deutlich geworden sein: Die Reaktion des Empfängers auf die Nachricht ist zu einem guten Teil sein eigenes Werk. Deshalb ist es angemessen, wenn der Empfänger seinen Teil der
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