Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation
Beziehungsseite der Nachricht kommt zum Ausdruck, was der Sender vom Empfänger hält. Mein Verhalten dem anderen gegenüber hängt also in starkem Maße davon ab, welches Bild ich mir von ihm gemacht habe. Halte ich ihn für einen Teufel, werde ich ihn anders behandeln, als wenn ich meine, den Engel des Herrn vor mir zu haben.
Für den Sender ist es wichtig zu wissen, dass er das Bild vom anderen teilweise selber macht. Die «Vorlage» zu diesem Bild ist häufig unvollständig und ihre Wahrnehmung abhängig von der Brille, mit der sie betrachtet wird. Menschliche Wahrnehmung ist nicht nur selektiv, sondern auch ergänzend – das Ergebnis meiner Wahrnehmung ist ein Produkt aus dem, was «da» ist und dem Reim, den ich mir darauf mache. Beziehungsstörungen ergeben sich dann, wenn ich den anderen ganz anders wahrnehme als er sich selbst. Im Folgenden seien zwei seelische Mechanismen beschrieben, die zu einer Bildverzerrung führen können: die Projektion und die Übertragung.
Projektion. Eine scherzhafte Definition (meines Wissens) von Ruth Cohn: «Wenn du deine Magenschmerzen im Gesicht des anderen erblickst, dann ist dies eine Projektion.» Bestimmte seelische Vorgänge, die sich in mir unerkannt abspielen, projiziere ich nach außen und erkenne sie beim anderen. Oft sind es Gefühle und Impulse, die ich mir nicht eingestehen mag, die nicht in mein Selbstbild passen, die ich dann übersensibel beim anderen entdecke und nicht selten dann mit großer Heftigkeit bekämpfe. So schreibt Hermann Hesse (in «Demian», 1972):
«Wenn wir einen Menschen hassen, so hassen wir in seinem Bild etwas, was in uns selber sitzt. Was nicht in uns selber ist, das regt uns nicht auf.»
Jung hat den Ausdruck «Schatten» geprägt für den unliebsamen und unerkannten Teil der Person. Manch leidenschaftlicher Streit auf der Beziehungsebene ist ein «Schattenboxen».
Übertragung. Bei dem psychoanalytischen Konzept der Übertragung spielt sich etwas ganz Ähnliches ab. Auch hier nehme ich den anderen u.U. nicht realitätsgerecht wahr. Jedoch stammen die fehlleitenden Wahrnehmungselemente nicht aus dem eigenen seelischen Haushalt, sondern es ist unerkannt ein Dritter mit im Spiel: Angenommen, jemand erinnert mich durch irgendeine Äußerlichkeit (Sprechweise, Haarfrisur, Gesichtsform) an eine wichtige Person aus meiner Vergangenheit (z.B. Mutter, Vater, Bruder, Chef). Ich bin mir dieser Ähnlichkeit aber nicht bewusst. Unbewusst reagiere ich gefühlsmäßig auf den anderen, als ob er dieser andere aus meiner Vergangenheit wäre. So liege ich z.B. dauernd misstrauisch auf der Lauer, ob mich der andere nicht missbilligend beurteilen wird (wie es z.B. mein Vater getan hat). In psychotherapeutischen Übungen geht es darum, diese Übertragung bewusst zu machen und die Auseinandersetzung mit der Übertragungsperson, die man sich auf einem leeren Stuhl sitzend denkt, zu führen. Dadurch soll das «unerledigte Geschäft» so erledigt werden, dass es sich nicht mehr in die gegenwärtigen Beziehungen unerkannt einschleicht. Es gibt natürlich auch positive Übertragungen – so hat manche anfängliche Verliebtheit wenig mit dem anderen zu tun.
Das Phänomen der Übertragung ist so wichtig und allgegenwärtig, dass es sich lohnt, die Nutzanwendung für Sender und Empfänger genauer zu besprechen:
Wenn ich neue Menschen kennenlerne, versuche ich mich zu fragen, an wen sie mich erinnern. Indem ich mir solche Ähnlichkeiten bewusst mache, vermindere ich die allgegenwärtige Gefahr, die neue Beziehung mit alten «unerledigten Geschäften» zu belasten. Ich bin dann in der Lage, eine Realitätsüberprüfung meiner unbewussten Phantasien vorzunehmen und unter Umständen festzustellen: Er sieht zwar aus wie mein Bruder, aber er ist doch ein ganz anderer.
Auch als Empfänger ist die Kenntnis des Übertragungsmechanismus von entscheidender Bedeutung. Ich muss wissen, dass ich «Übertragungen abkriege», d.h. dass nicht jedes Gefühl, das mir entgegengebracht wird, wirklich mir gilt, sondern vielleicht einem ganz anderen. Entweder war es ein persönliches Merkmal von mir, das beim anderen «alte Geschichten» unbewusst aufgerührt hat, oder es war auch nur meine Rolle, die dies vollbracht hat. So sind vor allem Lehrer, Vorgesetzte und alle Amtsautoritäten in Gefahr, bei ihrem Gegenüber alte Autoritätsproblematiken aufzurühren. Sehr eindringlich schreibt Ruth Cohn (1975, S. 196) zum Problem der Übertragung:
«Ich bin überzeugt, daß das Wissen
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