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Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Titel: Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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von und das Umgehen mit den universellen Übertragungs-Phänomenen zu den wesentlichen Handwerkszeugen aller Pädagogen gehört und es nicht angeht, die Erkenntnis dieser Phänomene im Geheimkabinett der Psychotherapeuten einzuschließen. Wieviel weniger Schmerz und Verletzlichkeit wären in Klassenzimmern und anderen Plätzen, wenn Menschen, die miteinander leben und arbeiten, in Gruppen erlernen könnten, daß nicht alle Reaktionen, denen sie begegnen, wirklich ihnen selbst ‹zugelebt› sind, sondern früheren Gestalten (Eltern, Lehrer, Geschwister) im Leben der anderen gelten; und wieviel klarer könnte jeder Mensch erfahren, welche Illusionen und Vorurteile er selbst auf andere unbewußt überträgt! Mancher autoritäre Allmachtsanspruch von und an Lehrer, Vorgesetzte, Koryphäen würde abgebaut werden – und ebenso Ohnmachts- und Abhängigkeitsgefühle! Mit einem solchen Übertragungsabbau in Gruppen haben Pädagogen auch eine bessere Chance, den ihnen anvertrauten Menschen mit weniger traditionellen Vorurteilen und mehr Offenheit und Realismus zu begegnen.»
    Übrigens gibt es einen Zusammenhang von Selbstoffenbarung und Projektions- bzw. Übertragungs-Gefahr: Je mehr ich mich zurückhalte und je weniger ich von mir gebe, desto mehr Projektionen und Übertragungen «kriege ich ab». Denn ich setze den Übertragungs-Phantasien meines Gegenübers ja keine reale Selbstoffenbarung entgegen. Zurückhaltende Menschen mit «Pokerface» werden daher oft abgelehnt, gemieden oder bekämpft: Alte Ängste und Hassgefühle projizieren sich auf diese «Leinwand». In der Psychoanalyse wird dieser Zusammenhang therapeutisch genutzt: Der psychoanalytische Therapeut bringt sich selbst nicht ein, hält sich gefühlsmäßig heraus und bietet somit eine Projektionsleinwand, auf die der Klient seine früheren problematischen Beziehungen übertragen kann.

    Unrepräsentativer Kontakt. Ein falsches, einseitiges, unvollständiges Bild vom anderen entsteht auch dadurch, dass ich ihn häufig nur in ganz bestimmten Situationen wahrnehme und auf Grund dieses Umstandes daran gehindert bin, ihn auch noch von seinen anderen Seiten kennenzulernen. So erleben Lehrer ihre Schüler häufig als «infantil». Nun bietet aber die Schule keine sehr günstigen Bedingungen für den Schüler, sich als ganzer Mensch in seiner Vollwertigkeit zu zeigen. Was Lehrer und Schüler thematisch hier verbindet, ist immer das, was der Lehrer kann und der Schüler noch nicht kann. Unter diesen Bedingungen der sozialen Distanz ist es nicht verwunderlich, wenn der Lehrer ein reduziertes, ungünstiges Schülerbild erhält. Der Kontakt ist unrepräsentativ. Unter anderen Lebensbedingungen, schon auf einer Klassenreise, hat der Schüler eher Gelegenheit, die vollwertigen Seiten seiner Person zur Entfaltung zu bringen. – Und so ist die Achtung vor dem anderen viel weniger eine Frage der Moral als vielmehr eine Frage des wirklichen, repräsentativen Kontaktes. Dies gilt auch für andere Lebensbereiche: Der Beamte hinter seinem Schalter erlebt den Ausländer oder Fürsorgeempfänger jeweils nur als unbeholfenen Bittsteller, der Richter den Angeklagten nur als armen (oder bösen) Sünder, der Arzt den Patienten nur als «Fall von Hautekzemen». Das Bild vom anderen beruht auf einer Verabsolutierung der eindimensionalen Bekanntschaft – die Achtung vor dem Mitmenschen bleibt ohne Erlebnisgrundlage.
    4.
    Das Ringen um die Beziehungsdefinition
    Wir haben bisher davon gesprochen, dass der Sender durch seine Nachricht auch zum Ausdruck bringt, wie er zum Empfänger steht, was er von ihm hält. Diese (meist implizite) Du-Botschaft ist aber nur der eine Aspekt der Beziehungsseite. Zum anderen enthält diese auch eine (meist implizite) Aussage darüber, wie der Sender die Beziehung zwischen sich und dem Empfänger sieht – eine Art Wir-Botschaft also.
    Wenn A und B aufeinander treffen, müssen sie sich darüber einigen, «was geht und was nicht geht». Aus der breiten Palette des Miteinander-Umgehens müssen bestimmte Verhaltensweisen als zur Beziehung stimmig ausgewählt werden. Ist es «drin», über persönliche, sogar intime Inhalte zu sprechen, den anderen zu berühren, ihn zu beleidigen, zu schlagen, zu beschenken, ohne Voranmeldung aufzusuchen usw.? Kurzum: Jedes Verhalten dem anderen gegenüber enthält auch den Versuch einer Beziehungsdefinition – die ist für den Sender ebenso unvermeidbar, wie es für den Empfänger unvermeidbar ist, darauf zustimmend oder

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