Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation
beeinflussen. Wenn du, mein Freund, Kummer hast und meinen Beistand suchst, weil deine Frau sich in einen anderen verliebt hat, dann kann ich dir kein Berater sein, wenn ich derjenige bin, welcher … Vielleicht macht es Sinn, dass wir darüber sprechen, aber eine «Beratung» darf und kann es nicht sein, das verstieße gegen die «Wahrheit der Situation». Oder: Du bist prominent, und ich hätte gern ein Autogramm von dir. Wenn ich dich darum bitte, wäre es unter anderen Umständen völlig in Ordnung. Sollte ich aber dein Vorsitzender Richter sein, wäre die Bitte ein Verstoß gegen die Wahrheit der Situation. (Dennoch so geschehen während des Prozesses gegen den Staatsratsvorsitzenden der ehemaligen DDR.)
Situationsdefinition und Situationsverständnis
Auf ein und dieselbe Situation können sich die Teilnehmer einen sehr unterschiedlichen Reim machen: Sie definieren die Situation unterschiedlich. Beispiel: Ein Unternehmen sucht einen guten Berater. Sie laden Herrn Ratgut ein zum «Kennenlernen». Einige andere Berater werden zu anderen Terminen bestellt. Nach der Begrüßung sagt der Firmenvertreter: «Dann legen Sie mal los, Herr Ratgut!» – und definiert die Situation als Vorstellungsgespräch, in welchem der «Bewerber» sich und sein Konzept präsentiert. Herr Ratgut ist irritiert: «Nein, nun legen Sie mal los!» – und definiert die Situation als Beratungs-Erstgespräch, bei welchem der «Klient» berichtet, wo ihn der Schuh drückt. Wann immer Irritation und Uneinigkeit über die angemessene Kommunikation entsteht, ist der Verdacht begründet, dass die Beteiligten unterschiedliche Situationsdefinitionen im Kopf haben – und entsprechend mit einer inneren Mannschaftsaufstellung anrücken, die ihrem Situationsverständnis entspricht. Zur Sicherstellung einer gemeinsamen Situationsdefinition beginne ich ein Treffen oder eine Veranstaltung mit der Leitfrage zur Wahrheit der Situation:
Wie kommt es (Vorgeschichte!), und
welchen Sinn macht es (Zielsetzung!), dass
ausgerechnet ich (in welcher Rolle?)
ausgerechnet mit Ihnen (in welcher Zusammensetzung?)
ausgerechnet dieses Thema (wie hat es sich ergeben?) bearbeiten möchte?
Und dann gehe ich die einzelnen Punkte durch und vermittle so mein Situationsverständnis. Wenn jemand der Anwesenden die Situation anders definiert, so hätte die Klärung dieser Uneinigkeit unbedingten Vorrang vor der thematischen Arbeit. Andernfalls schleppt sich die latente Uneinigkeit durch das Treffen und stört die Zusammenarbeit aus dem Verborgenen.
Zwei Dimensionen sozialer Situationen
Nach meinen praktischen Erfahrungen können Situationen in ihrem Gehalt auf zwei Dimensionen variieren:
Abb. 89:
Zwei Dimensionen sozialer Situationen (die Pfeile geben die Interventionsrichtung eines guten Moderators an)
Der Situationsgehalt kann einerseits mehr oder weniger (und für mehr oder weniger Anwesende) transparent sein, im Extrem völlig im Nebel. Er kann andererseits mehr oder weniger stimmig sein, das heißt hier: dass Anlass, Zielsetzung, Thema und Zusammensetzung der Gruppe zueinander passen, dass angesichts der Ausgangslage und der Zielsetzung genau die richtigen Leute mit der richtigen Rollenverteilung zum richtigen Thema zusammengekommen sind. Das Anliegen eines Sitzungsleiters oder Moderators muss sein, schon im Vorfeld (bei der Planung der Situation) und dann in der Sitzung selbst so weit wie möglich den Quadranten 1 zu erreichen. Ist eine Unstimmigkeit nicht zu beheben (zum Beispiel, weil ein Wichtiger fehlt), soll dies wenigstens transparent und bewusst sein: Quadrant 2. Die oben zitierte Leitfrage («Wie kommt es, und welchen Sinn macht es …») in Verbindung mit dem Vier-Komponenten-Modell hilft, den Idealquadranten zu erreichen, zumindest anzuzielen.
Diese Ausführungen mögen manchem «alten Hasen» allzu idealistisch erscheinen: Besteht im professionellen und politischen Bereich die Kunst häufig nicht gerade darin, Situationen so zu gestalten, dass das strategische Kalkül hinter der offiziellen Situationsdefinition verborgen bleibt? Tatsächlich, wir von der Fortbildung sind häufig in Gefahr, unseren Teilnehmern den Gebrauch der «weißen Tasten» beizubringen, während in der Realität die Musik von den Virtuosen der «schwarzen Tasten» gespielt wird. Holzauge, sei wachsam! Wachsamkeit gelingt aber nur dem, der weiß, wie die Melodie klingen würde, wenn sie mit weißen Tasten gespielt würde.
Ein Moderationsunfall. Das folgende Beispiel
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