Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation
Miene der Gastgeberin ist mir noch in lebhafter Erinnerung. Diese Flapsigkeit wollte zu dem offiziell-feierlichen Rahmen der Veranstaltung nicht passen. – Oder wenn ein Psychologiestudent an einer Gruppentherapiesitzung Anonymer Alkoholiker als Praktikant teilnimmt und in einer Anfangsrunde naiv und unbekümmert (oder weil ihn ein Teufel geritten hat) bekennt, er sei wahrscheinlich der Einzige in diesem Kreis, der heute morgen einen Kater habe …
Wenn der Vorsitzende Richter des Schöffengerichts, das über die Anklage gegen den ehemaligen Staatsratsvorsitzenden der DDR, Erich Honecker, zu verhandeln und zu entscheiden hat, den Angeklagten in einer Verhandlungspause um ein Autogramm bittet und damit dem Wunsch eines der Schöffen entspricht, dann mag dieses Verhalten durchaus authentisch sein – trotzdem ist es «daneben», weil in eklatantem Widerspruch zur Rollenbeziehung eines Richters zu seinem Angeklagten.
Auch bei einer Rede oder einem Vortrag verfügt jeder Anwesende über eine feine Antenne, ob der Ton des Redners mit dem Anlass und dem Charakter der Situation übereinstimmt. Es ist vor allem die innere Aufstellung des Sprechenden, die darüber entscheidet. Ich erinnere mich an eine Laudatio, die ich 1979 anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde an Ruth Cohn zu halten hatte, im Großen Hörsaal der Universität Hamburg (Schulz von Thun 1980). Bei der Vorbereitung dachte ich mir: Ich habe von und bei ihr viel gelernt – da wäre es doch passend, wenn ich in der Lobrede nicht nur «professoral» sprechen würde, sozusagen vom Katheder aus als wissenschaftlicher Experte und Doktorvater, sondern auch als ihr Schüler und Lehrling, der in einer Ich-Botschaft zu erkennen gibt, was er von ihr profitiert hat. Dann wäre die Rede nicht nur situativ, sondern auch persönlich stimmig. So weit, so gut – die entsprechende innere Mannschaftsaufstellung zeigt Abbildung 98 a.
Abb. 98:
Innere Mannschaftsaufstellung eines Lobredners:
a) beabsichtigt b) in der tatsächlichen Ausführung (= unstimmig)
Bei der Ausarbeitung der Rede muss es mir – authentischerweise – passiert sein, dass der dankbare Lehrling, der ach so viel profitiert hatte, auf der inneren Bühne immer größer wurde und sich zu einer wahren «Ich-Größe» emporschwang, während der würdigende Professor daneben verkümmerte (s. Abb. 98 b). – «Das ist ja eine Selbstlaudatio!!», warnte mich meine Freundin nach Lektüre des Manuskripts, gerade rechtzeitig, um die innere Aufstellung – und damit den ganzen Text – noch zu korrigieren.
Eine missglückte Rede vor dem Bundestag. Glück gehabt! Weniger Glück hatte, bei einem weit bedeutsameren Anlass, der damalige Präsident des Deutschen Bundestags, Philipp Jenninger. Er hielt 1988 eine Rede vor dem Bundestag zum fünfzigjährigen Gedenken an die Judenpogrome in Deutschland im November 1938; geladene Gäste waren auch der Bundespräsident, der Botschafter von Israel, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland und viele jüdische Mitbürger(innen).
Die Rede geriet zum Eklat, mittendrin verließen Hörer den Saal, und in den öffentlichen Kommentaren herrschte unisono Bestürzung über die «mangelnde Sensibilität» des Redners. Nach und wegen dieser Gedenkrede musste Jenninger zurücktreten. Was war geschehen? Die Rede wurde als «daneben» empfunden – nicht weil er etwas Falsches gesagt oder Anlass gegeben hätte, an der Lauterkeit seiner Gesinnung zu zweifeln. Die Rede war insgesamt beseelt von dem Anliegen, das vielleicht größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte beim Namen zu nennen und in seinen historischen Hintergründen auszuleuchten.
In der inneren Aufstellung des Redners erscheinen zu Beginn ein verantwortungsbewusster Nachkriegsdemokrat (der sich erinnern und Rechenschaft ablegen will), ein Historiker (der die Ereignisse von 1938 berichtet und in Zusammenhänge stellt) und ein Ankläger des nationalsozialistischen Regimes und – abgeschwächt – auch des Volkes. So weit gewiss nicht eklatverdächtig – es sei denn, man würde in einer Situation, die so unermesslichen Schmerz, so tiefe Trauer und Schuld beschwört, eine wortreiche Beflissenheit, noch dazu emotionslos vorgetragen, schon per se als unangenehm und unpassend empfinden.
Sodann gibt es aber Passagen, in denen der Redner auf die Erfolge Hitlers von 1933 bis 1936 zu sprechen kommt, «ein Faszinosum, selbst aus der distanzierten Rückschau». Was? Erscheint hier ein
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