Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation
mit einer unheilvollen inneren Gegenbewegung hätte rechnen müssen.
Abb. 28:
Aktive Identifikation des Oberhaupts (hinten) mit einem Teamliebling
Diesen Vorgang der identifizierenden Verschmelzung visualisiert Abbildung 28 in der Weise, dass das Oberhaupt als (unbewusster) Urheber dieses Vorgangs erscheint. In anderen Fällen jedoch scheint eher die Vorstellung am Platz, dass die Verschmelzung von einem sich kraftvoll aufdrängenden Teammitglied ausgeht, welches unerbetenerweise die Kommandobrücke besetzt und den Kapitän dort derart belagert, dass er seine Souveränität verliert und schließlich sagt und fühlt: «Ich bin (depressiv, ehrgeizig, beleidigt …).» Handelt es sich im ersten Fall um einen Liebling des Chefs, so handelt es sich hier um einen ungeliebten Aufdringling.
Abb. 29:
Passive Identifikation des Oberhaupts (vorn) mit einem aufdringlichen Teammitglied infolge «Belagerung»
Greifen wir auch hier auf unsere Lehrbeispiele zurück. Angenommen, der Chef der Werbeabteilung (S. 103f.) wäre von seiner Empörung über den unzuverlässigen Kreativmitarbeiter derart eingenommen, dass er ganz und gar darin aufginge, dann wäre eine Teambildung mit dem verständigen Diplomaten (den er in diesem Zustand nur als «feiges Weichei» empfinden könnte) unmöglich, und er müsste als wutschnaubender Berserker in den Kontakt gehen (was ja vorkommen soll). Oder im Beispiel des Vortrags zum Thema «Stoppt den Hass» (S. 107ff.): Wenn das Nervenbündel mit derart schlotternder Wucht das Oberhaupt belagert und seine Kommandobrücke besetzt gehalten hätte, dann hätte ich – bedauernd und über mich selbst unglücklich – sagen müssen: «Tut mir leid, ich bin dem nicht gewachsen!» (Was ja auch vorkommt.)
Die selektive und dauerhafte Verschmelzung des Oberhaupts mit auserwählten Mitgliedern führt zur Herausbildung eines starren Selbstkonzepts (vgl. «Miteinander reden 1», S. 216ff.) und zu diktatorischer Unterdrückung «Andersdenkender» in der inneren Gesellschaft. In allen Fällen ist ein Verlust an Wahlfreiheit und Teambildung gegeben, eine Einschränkung sowohl in Bezug auf angemessenes Handeln wie auf innere Harmonie. Von daher eröffnet sich ein weites Feld für die «innere Teamentwicklung» – wir werden diesen Faden wieder aufnehmen. An dieser Stelle sind aber die Begriffe «Identifikation» und «Disidentifikation» noch genauer zu erläutern.
Identifikation und Disidentifikation
Dies sind zwei verschiedene Daseinsformen des Oberhaupts in Bezug auf seine Mitglieder:
Identifikation liegt vor, wenn das Oberhaupt in die Haut seines Mitglieds hineinschlüpft und es als Teil von sich selbst erkennt und anerkennt: «Es ist ein Teil von mir !»
Disidentifikation hingegen liegt vor, wenn das Oberhaupt Abstand nimmt, sein Teammitglied von außen betrachtet und das Bewusstsein entwickelt: «Es ist ein nur ein Teil von mir!»
Beide Sätze betonen einen Teilaspekt der Gesamtwahrheit, und sowohl therapeutisch als auch im Alltagsleben ist immer ein Pendeln zwischen Identifikation und Disidentifikation angezeigt. Erstere verhindert die Abspaltung eines Teammitglieds, seine Ausgrenzung als Fremdkörper; Letztere erlaubt den inneren Abstand zu sich selbst und verhindert eine Verschmelzung des Oberhaupts mit einem dominanten Teilnehmer. Im Wertequadrat (s. «Miteinander reden 2», S. 43–63) ausgedrückt:
Die pädagogisch-therapeutischen Interventionsrichtungen (Pfeile) zielen, je nach seelischem Ausgangszustand, auf das gegenläufige Prinzip. Assagiolis Empfehlung verläuft von unten links nach oben rechts in Richtung Disidentifikation, wenn es darum geht, das Oberhaupt, das wachsame Selbst, wie er es nennt, im Kampf mit unliebsamen Widersachern zu stärken: «Wir werden beherrscht von allem, womit sich unser Selbst identifiziert. Wir können alles beherrschen und kontrollieren, von dem wir uns disidentifizieren.»
Und er erläutert: «In diesem Prinzip liegt das Geheimnis unserer Versklavung oder unserer Freiheit. Jedes Mal, wenn wir uns mit einer Schwäche, einem Fehler, einer Furcht oder irgendeinem persönlichen Gefühl oder Impuls ‹identifizieren›, begrenzen und lähmen wir uns. Jedes Mal, wenn wir eingestehen:‹Ich bin entmutigt› oder ‹Ich bin irritiert›, werden wir mehr und mehr von Niedergeschlagenheit oder Ärger beherrscht. Wir haben diese Begrenzungen akzeptiert; wir haben uns selbst unsere Fesseln angelegt. Wenn wir stattdessen in derselben Situation sagen:
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