Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation
einen «Trainer» als Oberhaupt vorsehen (s. Abb. 30 b).
Für Gespräche und Auseinandersetzungen, die einen starken Kampfcharakter haben, mag man auch das Bild vom «Feldherrn» und seiner «inneren Schlachtordnung» wählen (s. Abb. 30 c).
Viel harmonischer dagegen ist das Bild vom Konzert der inneren Stimmen in einem «Orchester», das von einer «Dirigentin» geleitet wird. Je nach Stück, das gerade gespielt werden soll, ruft sie wechselnde Solisten auf, bestimmt, wer (laut oder leise) dazukommen soll, sorgt für ein harmonisches Zusammenspiel und interveniert bei aufkommender Disharmonie und schlechter «Stimmung» (s. Abb. 30 d) – wie sich ja überhaupt unsere jeweilige Stimmung aus dem Ensemble der aktuell innerlich aktiven Stimmen aufklären lässt.
Abb. 30 a–d:
Variationen der Metapher vom Oberhaupt und seinem Inneren Team
Weitere Metaphern sind denkbar. So bevorzugt Stierlin (1994), einer Anregung Gunther Schmidts folgend, das Bild vom «inneren Parlament», um (wechselnde) Koalitionen vor Augen zu führen sowie das Ringen um Macht und um Kompromisse. Eine Studentin [6] empfindet das Bild vom «Häuptling» als passend, der jeden seiner Indianer gut kennt und das Beste für den Stamm will.
All dies sind Variationen über dasselbe Thema . Die Variationen enthalten jeweils einen etwas anderen Aspekt der ganzen Wahrheit, und je nachdem, welchen Aspekt wir gerade betonen wollen, wählen wir die Metaphernvariante. Dasselbe Thema ist immer eine Psyche, die sowohl hierarchisch als auch gruppendynamisch strukturiert ist, die ein Doppelwesen ist, nämlich Singular («Ich») und Plural («Wir») zugleich. Jede Pädagogik und Kommunikationslehre, jede Beratung und Therapie muss diese doppelte Grundgegebenheit zu ihrem Ausgangspunkt und zu ihrem Ziel machen.
2.6
Sind wir alle «multiple Persönlichkeiten», gar «schizophren»? Ein Blick über den Zaun zum pathologischen Nachbarn
Nachdem wir das normale und zum Teil ideale Zusammenspiel vom Oberhaupt und seinem integrierten Team vor Augen haben, können wir pathologische Erscheinungen besser einordnen, sowohl in ihrer Verwandtschaft als auch in ihrer Andersartigkeit begreifen.
In den letzten Jahren war viel von «multiplen Persönlichkeiten» zu hören und zu lesen (z.B. Casey: Ich bin viele, 1992, mit einem Nachwort von Howland, S. 433ff.). Auch Ornstein (1992, vgl. S. 37 und 79 in diesem Buch) verweist vielfach auf dieses Störungsbild und nimmt es als wichtigen Anhaltspunkt für die Richtigkeit seines Multimind-Konzepts.
Die offizielle Bezeichnung lautet mittlerweile «dissoziative Identitätsstörung» (DSMIV, Nr. 300.14; Saß u.a. 1996), wobei der Begriff «dissoziativ» (ausgliedernd, abspaltend, als nicht zusammengehörig trennend) auf das Phänomen hinweist, um das es hier geht: Mindestens zwei (angeblich bis zu fünfzig und mehr) Teilpersönlichkeiten mit charakteristischen Eigenschaften, Körperausdruck, Verhaltensweisen, Erinnerungen usw. wechseln sich darin ab, das Zepter zu führen und in einem Körper in Erscheinung zu treten. Je nachdem, wer gerade «dran» ist, haben wir es mit höchst unterschiedlichen Charakteren zu tun. Die «Gastgeber»-Persönlichkeit (in unserer Terminologie: das Oberhaupt) weiß meist von diesen machtergreifenden Besatzern nichts (oder will nichts von ihnen wissen) – nach dem Gastspiel fehlt ihr oft die Erinnerung an diesen Zeitraum.
Die alternierenden Teilpersönlichkeiten, die oft einen eigenen Namen haben, wissen zwar in der Regel voneinander, wollen und können aber miteinander nichts zu schaffen haben. Sie stehen untereinander und gegenüber der Primärpersönlichkeit in einem distanzierten, kritischen und zum Teil feindseligen Verhältnis, sodass Huber (1994, 1996) von bürgerkriegsähnlichen Zuständen spricht; im Extrem kann eine Teilpersönlichkeit «den Dolch im Gewande» tragen und schlimme Selbstverletzungen oder Suizid begehen.
Soweit man heute über das Zustandekommen dieser Persönlichkeitsstörung Bescheid weiß, deutet alles darauf hin, dass es in der Kindheit dieser (meist sind es) Frauen schwersten und anhaltenden Missbrauch gegeben hat. Das kleine Kind, überwältigt von Angst, Entsetzen und Schmerz, kann weder fliehen noch sich wehren, noch hat es irgendeine Menschenseele, die ihm tröstend, helfend und verarbeitend beisteht. Normalerweise müsste die schutzlose Psyche daran zerbrechen. Wenn jedoch das Kind ein Talent zur Dissoziation hat, kann es eine seelische
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