Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation

Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation

Titel: Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
Vom Netzwerk:
‹Eine Welle von Entmutigung versucht mich zu überfluten›, so ist die Situation völlig anders. Dann gibt es zwei Kräfte, die einander gegenüberstehen: auf der einen Seite unser wachsames Selbst, auf der anderen Entmutigung oder Ärger. Und das wachsame Selbst unterwirft sich dieser Invasion nicht; es kann objektiv und kritisch jene Impulse von Entmutigung oder Ärger überprüfen: Es kann ihren Ursprung ermitteln, ihre ungünstigen Wirkungen voraussehen und sich ihre Unbegründetheit bewusst machen. Das reicht oft aus, um einem Angriff solcher Kräfte zu widerstehen und den Kampf zu gewinnen. Aber selbst wenn diese Kräfte in uns vorübergehend stärker sind, wenn die bewusste Persönlichkeit zunächst durch ihre Heftigkeit überwältigt wird, so wird das wachsame Selbst nie wirklich besiegt. Es kann sich in eine innere Festung zurückziehen, sich dort vorbereiten und einen günstigen Augenblick zum Gegenangriff abwarten. Es mag einige der Kämpfe verlieren, wenn es jedoch seine Waffen nicht streckt, sich nicht ergibt, so ist der Ausgang nicht gefährdet, und es wird schließlich den Sieg erringen» (Assagioli 1993, S. 29).
    Auch wenn mir diese waffenklirrenden Formulierungen ein wenig kriegerisch erscheinen, so glaube ich doch, dass der geleitete Prozess der Disidentifikation dazu beitragen kann, dem Oberhaupt seine Kraft und seine Wahlfreiheit bewusst zu machen. Statt von «besiegen» würde ich allerdings im Sinn des Teamgedankens lieber von «einbinden» sprechen, denn der innere Widersacher hat meist auch etwas zu bieten, wenn er nicht allein und unkontrolliert auf seinen Besitzer und auf die Menschheit losgelassen wird (s. S. 197ff. in diesem Buch: «Vom Umgang mit inneren Widersachern»).

    Ich fasse zusammen: Das Oberhaupt kann zu seinen Mitgliedern in zweierlei Weise in Kontakt treten. Durch bewusste und freiwillige Identifikation macht es sich die seelische Qualität des Erwählten zu eigen, geht darin auf. «Geh da mal ganz hinein in diese Wut», sagt zum Beispiel ein Therapeut zu einem aggressionsgehemmten Klienten, sobald dieser doch einmal ein wenig Wut in sich spürt. Oder wir sagen von uns selbst: «Ich habe mich da so richtig hineinplumpsen lassen!» – und meinen vielleicht eine bestimmte Stimmung, der wir uns hingaben, statt dagegen anzugehen.
    Solange diese Identifikation bewusst, wahlweise und vorübergehend vollzogen wird, ist sie ein wichtiger Vorgang der Selbsterfahrung und der Integration innerer Außenseiter. Auch im Kontakt mit anderen Menschen kann es heilsam sein, vorübergehend einmal einer Stimme freien Lauf zu lassen, wohl wissend, dass sie nicht alle Aspekte des eigenen Empfindens abdeckt. Wenn die Identifikation aber als unbewusste und chronische Verschmelzung vonstatten geht oder wenn sich das Oberhaupt einer hartnäckigen Belagerung nicht erwehren kann, dann sind seine Führungsqualitäten drastisch eingeschränkt, und die Chance zur Teambildung ist gesunken. Durch den gegenläufigen Vorgang der Disidentifikation (Abgrenzung) kann das Oberhaupt sich von solchen Belagerern wieder befreien und sich als eine übergeordnete, nicht-verstrickte Instanz wiederfinden, die den Gesamtüberblick wahrt und zu den einzelnen Teammitgliedern aus einer gewissen Distanz freundlichen Kontakt aufnimmt (s. Schwartz 1997, S. 169ff.). Im gelungenen Wechsel von Identifikation und Abgrenzung liegt ein Schlüsselprinzip für den heilsamen Umgang mit sich selbst.

2.5
    Abwandlungen der Grundmetapher
    Diese erste Bekanntschaft mit dem Oberhaupt, zunächst vor allem in seiner Rolle als Moderator und Integrator einer inneren Teambildung, wird sich in den weiteren Kapiteln noch vertiefen und erweitern.
    Wir werden dann auch von der Möglichkeit Gebrauch machen, die Grundmetapher abzuwandeln, je nach dem gedanklichen Zusammenhang. So werden wir im Kapitel 4, das den Aufbau der Persönlichkeit beschreibt, auf das Bild der «inneren Bühne» eines Improvisationstheaters zurückgreifen: Die «Regisseurin» leitet das Gesamtensemble, einige seiner Mitglieder erscheinen sichtbar auf der Bühne, andere bleiben hinter den Kulissen. Auch wenn die Akteure im Rahmen der Spielidee ihre Texte frei improvisieren können, so hat doch die Regisseurin die Gesamtverantwortung und entscheidet über die Besetzung (s. Abb. 30 a).
    Im Kapitel 5, wo es um die Gruppierung der inneren Mitglieder in Abhängigkeit vom menschlichen und situativen Kontext geht, werden wir von «innerer Mannschaftsaufstellung» sprechen und

Weitere Kostenlose Bücher