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Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation

Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation

Titel: Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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Notwehrreaktion dahingehend entwickeln, dass es mit einem Teil seiner Person ausweicht und ihn so vor der Vernichtung schützt. Diese Überlebenstechnik währt als post-traumatische Stressreaktion fort.
    Es scheint nicht leicht zu sein, die multiple Persönlichkeitsstörung zu diagnostizieren – ihre Existenz ist unter den klinischen Fachleuten sogar umstritten (Saum-Aldehoff 1996: Interview mit V. Dittmann), zumindest das enorme Anwachsen dieser Diagnose in den USA lässt Skepsis aufkommen, ob nicht geradezu eine psychiatrische Modeerscheinung vorliegt (Lau 1997).
    Oder hat man früher diese «Metastörung» übersehen, weil, nach Huber, einzelne Teilpersönlichkeiten durchaus gängige Störungen (Depressionen, Zwänge etc.) aufweisen können? Huber betont, dass eine traditionelle Behandlung in dem Fall nicht viel nütze, da nach einem «switch», also einem Identitätswechsel, eine andere Unterperson das Steuer übernehme und von der Therapie nicht profitiert habe, ihr wahrscheinlich sogar ablehnend gegenüberstehe. «Es muß also zunächst die Identitätsstörung behandelt werden, bevor alle anderen Störungen angegangen werden können, wobei das häufig parallel möglich ist» (Huber 1994, S. 66). Von daher ist die Anekdote zu verstehen, dass ein New Yorker Psychiater nach der Behandlung einer «multiplen» Patientin bei der Krankenkasse eine «Gruppentherapie» abgerechnet habe.
    Die Therapie einer multiplen Persönlichkeit zielt darauf, eine Integration – oder zumindest als Vorstufe «die Ko-Bewusstheit» – der isolierten Teilwesen unter der Oberhoheit der Primärpersönlichkeit zu ermöglichen und zu fördern.
    Das Fazit aus dieser kurzen Beschreibung: Wir sind alle «multiple Persönlichkeiten»; was uns aber vor einer multiplen Persönlichkeitsstörung bewahrt, ist die «Ko-Bewusstheit», die Fähigkeit zur Teambildung unter der Regie eines gut entwickelten Oberhaupts. Freilich trennt uns vom Nachbarn keine sichere Grenze. Trübungen der Ko-Bewusstheit, Mangel an innerem Wir-Gefühl, misslungene Teambildung und eine gelegentliche oder dauerhafte Führungsschwäche des Oberhaupts: das sind ja geläufige Normalphänomene gesunder Menschen, bis hin zu gelegentlichen «bürgerkriegsähnlichen Zuständen»!
    Luise Rinser erwähnt eine weithin normale «Jugend-Schizophrenie»: «Manchmal hatte ich das Bedürfnis, etwas Schreckliches zu tun, ein Haus anzuzünden oder so etwas. Aber das war nur der eine in mir; der andere wollte gut sein und andern helfen». (1984, S. 16). In einer wissenschaftlichen Untersuchung von Matt (1995) über delinquente Jugendliche wurde ermittelt, dass manche jungen Männer ein Doppelleben führen: Wochentags ist der angepasste Musterknabe im beruflichen Einsatz und begründet eine bürgerliche Existenz; am Wochenende dagegen schlägt die Stunde des Banditen. Bei diesem handelt es sich wahrscheinlich um die negative Ausprägung jenes tatendurstigen Helden, der in der Entwicklung zum jungen Mann durchaus angelegt ist, aber im geregelten Lebenskontext einfach nicht (mehr) gebraucht wird. Bestellt und nicht abgeholt.
    Diese Art von Spaltung ist nicht zu verwechseln mit der echten Schizophrenie, jener Krankheit, bei der das Zusammenspiel vom Oberhaupt und seinem Team in noch anderer Weise fehlgeschlagen ist. Eines der Hauptsymptome der Schizophrenie ist das Hören von Stimmen (vgl. «Stimmenreich», Bock u.a. 1992); aber nicht in dem Sinn, wie wir hier von «inneren Stimmen» gesprochen haben (innere Regungen, für die wir einen Text entwerfen und sie uns auf diese Weise zugänglicher machen), sondern als wirkliches akustisches Erlebnis. Sie erreichen den Kranken scheinbar von außen, sprechen Texte (zum Teil Befehle), die er sich selber nicht zurechnet, und kommen und gehen und drängen sich auf, wann immer sie wollen. Und sie machen dem Betroffenen oft große Angst. Wenn wir uns darauf im Rahmen unserer hier vertretenen Sichtweise einen Reim machen wollen, können wir annehmen, dass es sich um Mitglieder des Inneren Teams handelt, die ehemals ausgestoßen («abgespalten») worden sind, also nicht mehr dazugehören, und sich auf diese Weise aus der Verbannung zurückmelden und als bedrohliche Fremdlinge erfahren werden.
    In jüngster Zeit gibt es Berichte, dass ein solches Stimmen-Hören auch bei nicht schizophren Erkrankten vorkommt (Stratenwerth 1995), sogar in großer Zahl (zwei bis vier Prozent aller Menschen nach Studien aus den USA) und oft in engem Zusammenhang mit

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