Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation
unter Einbezug einer Gruppe angeleitet werden kann.
2.4
Kooperative Selbst-Führung
Der kooperative Teil des Oberhaupts dürfte in allen Musterbeispielen deutlich geworden sein: das Miteinander-Reden, das Zuhören, Moderieren, Sich-Beraten, das Wertschätzen jeder Wortmeldung. Der andere Teil betrifft die Führung , denn ein Chef soll nicht nur zuhören und moderieren, sondern auch das Zepter in der Hand behalten bzw. in die Hand bekommen – und das heißt, von seiner «Richtlinienkompetenz» Gebrauch machen, Ziele vorgeben, anordnen und motivieren, Entscheidungen treffen und (nach innen und nach außen) verantworten. Dies alles nicht aus dem hohlen Bauch heraus, sondern nach sorgfältigem Studium der Sachlage und nach Anhörung seiner inneren Berater.
Die souveräne Metaposition
Als Einführung in dieses Thema eignet sich eine von Ferrucci (1986) berichtete Anekdote. Im Gespräch mit seinem Meister, dem weisen, alten Assagioli, habe er ihm eine Frage gestellt, die sich darauf bezog, dass wir «unseren Gefühlen folgen» sollten. Dieser antwortete zur Verblüffung seines Schülers: «Aber du sollst nicht deinen Gefühlen folgen. Deine Gefühle müssen dir folgen!»
Diese Antwort kennzeichnet das therapeutische Ziel der von Assagioli begründeten «Psychosynthese»-Schule. Unser «wachsames Selbst» soll die Kontrolle über die «Elemente der Persönlichkeit» (Teilpersönlichkeiten) gewinnen.
Aus meiner Sicht wird es immer eine wechselseitige Gefolgschaft zwischen Oberhaupt und Team geben, so wie es immer und überall eine subtile Interdependenz zwischen Führenden und Geführten gibt: Der Führende kann in dem Maß auf Akzeptanz und Gefolgschaft hoffen, wie er sich seinerseits führen lässt, wie er das, was in den Köpfen und Herzen seiner Geführten versammelt ist, mit gutem Gespür aufnimmt, gestaltet, verwandelt. Diese Dialektik im Umgang mit sich selbst kommt in einer Empfehlung zum Ausdruck, die Goleman (1994, S. 90) zitiert und als ein Beispiel für «emotionale Intelligenz» anführt. Ein tibetanischer Lehrer wurde gefragt, wie man am besten mit Zorn umgehe, und er antwortete: «Unterdrücke ihn nicht, aber gib ihm nicht nach.» Gleichwohl ist die von Assagioli proklamierte Entwicklungsrichtung von grundlegender Bedeutung: dass das Oberhaupt zunehmend die Führung, die kooperative Führung des multiplen Teams übernehmen soll.
Wie kann das geschehen? Die entscheidende Voraussetzung für eine wirksame Selbst-Führung ist die Wahrung bzw. Erlangung einer souveränen Metaposition : dass das Oberhaupt wirklich «über dem Ganzen» steht und sich nicht im Getümmel der Gegensätze parteiisch verstrickt. Diese fundamentale Annahme findet sich nicht nur bei Assagioli und Ferrucci (Psychosynthese), sondern auch bei H. und S. Stone (1994; Voice-Dialogue) und bei Schwartz (1997; Innere Familientherapie).
Verschmelzung des Oberhaupts mit einzelnen Mitgliedern
Aber warum ist dies so wichtig zu betonen, so wichtig anzustreben? Ist diese Grundgegebenheit nicht Teil unserer seelischen Gesamtkonstruktion? Offenbar nicht. Mehr oder minder ist das Oberhaupt, unbewusst oder machtvoll unter Druck gesetzt, an der innerseelischen Gruppendynamik beteiligt. Und zwar in der Weise, dass es mit einem oder mehreren Teammitgliedern so stark identifiziert ist , dass wir geradezu von einer Verschmelzung sprechen können. Eine solche Überidentifikation liegt, wie wir noch sehen werden (Kapitel 4), besonders nahe mit solchen Mitgliedern, die entweder große Verdienste im Überlebenskampf erworben haben oder die das Ich-Ideal (= wie ein Mensch sein sollte) in besonders reiner Weise verkörpern. Wenn in unserem Musterbeispiel «Tante Anni» (S. 99ff.) das Oberhaupt mit dem Pflichtbewussten identifiziert und verschmolzen gewesen wäre, hätte er die beiden anderen Mitglieder, den Faulpelz und den Gesundheitsexperten , nur als Allianz «innerer Schweinehunde» diskreditieren können, als solche, die es unbedingt «zu überwinden» galt. Und sofort wäre das Oberhaupt in die innere Polarisierung verstrickt gewesen, hätte die beschriebene Moderation als Führungsaufgabe nicht wahrnehmen können. Oder wenn der Gebietsleiter bei seiner beruflichen Lebensentscheidung (S. 118ff.) mit seiner Nummer 1 verschmolzen gewesen wäre, dann hätte er seine inneren Gegenspieler als «Angsthasen» und «Schlappschwänze» abgetan und mundtot gemacht. Die Folge wäre gewesen, dass er zwar scheinbar einig mit sich selbst gewesen wäre, jedoch
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