Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation
traumatischen Erlebnissen wie Unfällen, sexueller Gewalt oder dem plötzlichen Tod von Angehörigen. Wer solche Erfahrungen macht, muß also keinesfalls zwingend befürchten, «verrückt» zu werden. Man kann lernen, damit zu leben, und es gibt wohl auch die begründete Aussicht, dass das Oberhaupt wieder «Herr» werden kann über die verstoßenen oder entlaufenen Wesenheiten.
Ich erwähne diese mehr oder weniger pathologischen Phänomene deshalb, weil hin und wieder ein Hörer meiner Vorlesungen oder eine Teilnehmerin in Fortbildungskursen auf die Modellvorstellung des Inneren Teams mit besorgter Abwehr reagieren. Sie scheinen zu befürchten, dass sie durch Beschäftigung mit solchen Ideen in eine multiple oder schizophrene Persönlichkeitsirrfahrt hineingeraten könnten. Zwar bin ich der Überzeugung, dass, ganz im Gegenteil, das Bewusstsein von der inneren Pluralität und ein Training im Umgang damit im Normalfall solche pathologischen Abspaltungen zu verhindern hilft, ich kann aber gegenwärtig nicht ausschließen, dass eine angstvolle Abwehrreaktion im Einzelfall eine Anfälligkeit für die befürchtete Entwicklung anzeigen kann. Dann mag es geraten sein, von einer weiteren Beschäftigung damit zunächst Abstand zu nehmen.
Nach Auswertung von über hundert Erfahrungsberichten komme ich aber zu dem Schluss, dass in aller Regel die Wirkungen einer Beschäftigung mit dem Modell des Inneren Teams auf die persönliche Entwicklung als sehr positiv erlebt werden, und zwar vor allem in dreifacher Hinsicht:
Als Befreiung aus dem Gebot der Einheitlichkeit: «Ich hatte mir selbst immer auferlegt, eine einheitliche, starke, festgefügte Persönlichkeit zu sein. Dementsprechend habe ich mir meine widersprüchliche Vielfalt als Schwäche, ja sogar als pathologische Störung ausgelegt. Jetzt sehe ich, dass alles zu mir gehört und sein darf, sogar einen inneren Reichtum ausmacht.»
Als Ordnungs- und Klärungshilfe: «Um mich in meinem inneren Chaos zurechtzufinden, hilft mir das Modell. Dann sehe ich deutlicher, wer sich alles meldet, sich vordrängt und sich zurückhält, und wo die Brennpunkte des Konflikts liegen.»
Als Erleichterung der Selbstakzeptierung: «Wenn ich sozial unerwünschte Regungen in mir feststelle, kann ich jetzt (vor mir selbst und vor anderen) besser dazu stehen. Denn sie bedeuten jetzt nicht mehr, dass ich durch und durch schlecht oder minderwertig wäre, sondern nur, dass dieser Teil (neben vielen anderen) auch zu mir gehört – und das gestehe ich mir durchaus zu.»
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3.
Innere Teamkonflikte und inneres Konfliktmanagement
Aus all den bisherigen Betrachtungen ist deutlich geworden, dass innere Uneinigkeit und Teamkonflikte keinen dramatischen Sonderfall darstellen, sondern den seelischen Alltag ausmachen. Daraus ergibt sich die wichtige Rolle des Oberhaupts: angesichts von Pluralität und Uneinigkeit den Laden zusammenzuhalten und so zu führen, dass Gegensätze und Spannungen ausgehalten, ausgetragen und genutzt werden, ohne dass die Reibungsverluste allzu groß werden. In der Rolle des «Konfliktmanagers» besteht seine Aufgabe auch im Aufbau einer inneren Streitkultur : Wieder finden wir eine verblüffende Gemeinsamkeit zwischen den inneren Verhältnissen und den Verhältnissen in Familien, Arbeitsgruppen, politischen Parteien, Verbänden, Organisationen aller Art vor. In beiden Bereichen, den inneren und den äußeren, gilt das universale Kooperationsgesetz:
Menschen, die miteinander zu schaffen haben,
machen einander zu schaffen!
Und in beiden Bereichen kommt es darauf an, zwei gegensätzliche Spielarten des Misslingens zu vermeiden oder, wenn dies zeitweise unvermeidlich ist, immer wieder zu überwinden: die allzeit friedliche und höfliche, also fried-höfliche Pseudo-Harmonie, in der die Gegensätzlichkeiten aus Angst vor Zwietracht und Zerwürfnis nicht zur Sprache kommen; auf der anderen Seite die von Gehässigkeit diktierte Art, den Vertreter gegensätzlicher Auffassungen verächtlich und mundtot zu machen, was vielfach auch wechselseitig geschieht und die Kampfhandlungen zu gegenseitiger Entwertung und Blockierung eskalieren lässt – sei es, dass dies offen und «heiß» ausgetragen wird, sei es, dass dies verdeckt und «kalt» geschieht und das Geschehen unterschwellig lähmt. Die Wertebalance einer solchen Streitkultur (s. Abb. 31) muss zwei gegenläufige Tugenden entwickeln und miteinander in Zusammenarbeit bringen: die Tugend der
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