Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation
«Tacheles» geredet werden musste.
Auf der anderen Seite: War nicht die Achtung vor dem Meinungsgegner eine elementare Tugend auch in Zeiten des Umbruchs? War «liberal» immer auch «scheiß-liberal»? Stellen nicht Toleranz und Freundlichkeit ein ethisches Minimum dar, das in jedweden gesellschaftlichen Verhältnissen um der Menschlichkeit willen nicht preisgegeben werden darf? Bot vielleicht die rüde Intoleranz, mit der sie zuweilen auftraten, einen Vorgeschmack auf das, was man nach dem Sieg der Revolution zu erwarten hatte? «Lieber Gott, mach die bösen Menschen gut – und die guten etwas netter!», scherzte Ruth Cohn später in einem ganz anderen Zusammenhang und sprach mir nachträglich aus dem Herzen.
Mit einem Wort: Meine innere Aufstellung gegenüber «den» Linken, wie ich sie ausmachte, war überaus widersprüchlich (s. Abb. 40).
Abb. 40:
Innere Konstellation eines naiven Studienanfängers 1967 gegenüber «den Linken»
Charakteristisch war nun, dass diese konfliktäre Binnenkonstellation
nach innen keine Prägnanz gewann; das «diffuse Gemuse» verbreitete Unbehagen, sowohl «den Linken» als auch vor allem mir selbst gegenüber;
nach außen zu profilloser Passivität führte, zu einem gelegentlich halbherzigen Mitläufertum, gelegentlich zu stiller Absonderung mit schlechtem Gewissen.
Dabei hätte das in Abbildung 40 enthaltene Team-Potenzial durchaus eine tragfähige Grundlage für einen Eigenstandpunkt, für «Hier stehe ich – ich kann nicht anders!» abgeben können, mit der Möglichkeit, das eigene Gewicht in die Waagschale der Auseinandersetzungen zu werfen. Selbst der Zweifler hätte zu einer Position der Stärke beitragen können. So aber, im unerlösten Zustand, blieb nicht mehr als eine «graue Maus» (wie es damals hieß) übrig, die das Geschehen mit gemischten Gefühlen aus der Zuschauerwarte an sich vorbeiziehen ließ.
Ob solche Überlegungen auch ein Licht werfen auf politisches Duckmäusertum im Hitler-Deutschland? Wie reagierte die Bevölkerung, wie reagierten Menschen wie du und ich auf die Demütigung der jüdischen Mitbürger, die Entrechtung, die Pogrome, die Deportationen – um nur den für jedermann und jedefrau offensichtlichen Teil der Barbarei zu nennen? War da nicht auch jene Mischung aus Passivität und Unbehagen, das sich durch Wegschauen und Nicht-dran-Denken am ehesten «bewältigen» ließ? Victor Klemperer (1995), dessen ergreifendes Tagebuch aus jener Zeit fünfzig Jahre später veröffentlicht worden ist, war immer auf der Suche nach der wahren «Vox Populi» («Stimme des Volkes») und fand sie widersprüchlich und uneindeutig. Ich vermute, dass diese Stimme in jedem Einzelnen ein Stimmengewirr war. Durch Goldhagens Untersuchungen (1996) sind wir daran erinnert worden, dass der Antisemit im inneren Ensemble des Normaldeutschen, jedenfalls in der Dunkelkammer seiner Seele, seit jeher vertreten war als ein jahrhundertealtes kulturhistorisches Erbe – und nicht erst durch die faschistischen Machthaber hineinindoktriniert wurde. Diese haben ihn lediglich mit penetranter Propaganda aus der Dunkelkammer in den noblen Salon geholt, aus ihm ein ehrenwertes und prominentes Mitglied der inneren Gesellschaft gemacht. So lässt sich denken, dass es nicht nur die Angst vor Denunziation und Verfolgung war, die einen einhelligen Protest- und Entsetzensschrei im Keim erstickt hat, sondern auch eine ungelöste und daher lähmende Konfliktkonfiguration im Inneren des deutschen Seelenlebens: Mitleid, heimliches Grausen und klammheimliche antisemitische Genugtuung mögen das innere Patt begründet haben, das uns zu passiven Wegschauern und Geschehenlassern werden ließ.
Das innere Patt
Von einem «inneren Patt» spreche ich dann, wenn die Polarisierung so eskaliert, die Spannung so aufgeladen ist, dass «nichts mehr geht»: Zwei oder mehr Teilnehmer, jeder für sich ehrenwert und mit guten Kräften ausgestattet, sind derart ineinander verkeilt, dass sie sich gegenseitig keine Luft lassen (s. Abb. 41).
Abb. 41:
Inneres Patt
Die Folge: ein taubstummes Nicht-Gefühl nach innen, eine Sprach- bzw. Handlungsblockade nach außen. Studieren wir diese Zuspitzung eines inneren Teamkonflikts an einigen Beispielen!
Die innere Leere des distanzierten Liebespartners. Ich greife aus «Miteinander reden 2» (S. 250f.) das Beispiel eines jungen Mannes auf, dessen Partnerschaft in einer Krise steckte.
Der anhängliche und nähebedürftige Teil in ihm («Schön, dass
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