Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation
doppelter Hinsicht Teil eines größeren Ganzen
Zweifellos hat auch dieser «Wir-Anteil» im inneren Ensemble des Menschen einen alten Stammplatz, den er bis jetzt behauptet hat. Es scheint aber, dass er nicht mit derselben instinktiven Wucht ausgestattet ist wie der Egoist und der Brutpflege- Altruist . Um die mangelnde Instinktwucht auszugleichen, hat sich eine Ethik herausgebildet, die dem Menschen eine normative Verpflichtung auferlegt, seinen Egoismus nicht skrupellos zu leben und seine (wahrhaft menschliche) Bestimmung in der Nächstenliebe zu sehen.
Die Zehn Gebote des Alten Testaments waren zur Zeit ihrer Entstehung ganz sicher Antithesen, Gegenstimmen zu den vorherrschenden Hauptstimmen im Menschen. «Du sollst nicht töten!» macht Sinn zu betonen, wenn man der menschlichen Natur eine Neigung zum Töten unterstellt – jedenfalls wenn es hart auf hart geht und einen Überlebensvorteil verspricht. Die alten Mythen künden viel von Mord und Totschlag, auch Kinder, Frauen und Greise bleiben nicht verschont. So erzeugt jedes der Zehn Gebote unweigerlich einen inneren Teamkonflikt, sonst gäbe es sie gar nicht.
Seitdem dem Menschen bewusst geworden ist, dass er nicht nur für sein persönliches Überleben und Wohlleben zuständig ist, sondern auch zum Gelingen des Ganzen beizutragen hat, spätestens seitdem gibt es einen inneren Konflikt, der auch als Machtkampf zwischen Hell und Dunkel, Licht und Schatten, Gott und Teufel gedeutet worden ist und von dem Wilhelm Busch spöttisch behauptet: «Der liebe Gott muß immer ziehen, dem Teufel fällt’s von selber zu!»
Bei Sigmund Freud lautet dieser Gegensatz «Es» und «Über-Ich». Aber dieser Gegensatz ist nicht erst durch eine normensetzende Kultur in die Welt gekommen, er ist bereits in einer sehr ursprünglichen menschlichen Natur angelegt: Ohne Nächstenliebe hätte es kein Überleben der Gattung Mensch gegeben – allerdings ohne skrupellosen Egoismus auch nicht.
Dr. Jekyll und Mr. Hyde
Der Teil in uns, der nur sich selbst zum Mittelpunkt hat, dieser natürliche und legitime Vertreter der eigenen Wohlfahrt, wird dann (und nur dann) zu einer Ausgeburt des Bösen, wenn er sich nicht mit seinem (ebenso natürlichen) Gegenspieler vereinigt, der für Nächstenliebe und Ausrichtung am Gemeinwohl steht. Die notwendige innere Teambildung kann in verschiedener Weise misslingen: so, dass einer der beiden Teile auf Kosten des anderen die Oberhand gewinnt, oder so, dass beide im ewigen Kampf liegen. Dies Letztere sei, so lässt R. L. Stevenson (1850–1894) seinen Helden in der Erzählung «Dr. Jekyll und Mr. Hyde» sagen, «der Fluch der Menschheit», dass «der Mensch in Wahrheit nicht eins, sondern wahrlich zwei» sei und dass «diese inkongruenten Teile so miteinander verbunden» seien, dass «in dem qualdurchzuckten Schoße des Bewußtseins diese miteinander feindlichen Zwillinge ständig im Kampfe liegen» müssten (1984, S. 82f.). Dieser Fluch, diese dem Menschen auferlegte Qual empfindet Dr. Jekyll, ein angesehener und anständiger Mann, als so unerträglich, dass ihm eine Erlösungsidee kommt: «Was würde geschehen, wären sie geschieden?» (S. 83). Mit Hilfe einer Droge gelingt es ihm, das «boshafte und schändliche Geschöpf in sich, das in all seinen Taten und Gedanken nur sein eigenes Selbst zum Mittelpunkte» hatte (S. 96), aus dem Kampf-Zwillingsgemenge herauszutrennen und, seiner «Oberhoheit entledigt», unter dem Namen «Mr. Hyde» auf die Menschheit loszulassen. Tatsächlich: «Der so lange in meinem Inneren eingesperrte Satan brach brüllend hervor»; er verkörpert die Schändlichkeit in Reinkultur und begeht schließlich sogar einen Mord, an welchem die Gesamtperson Mr. Jekyll, die nach erneuter Drogeneinnahme jeweils wieder das Zepter der Identität in die Hand nimmt, sich völlig unschuldig wähnt.
Das ganze Experiment endet in einem existenziellen Desaster, und wir Nachgeborenen tun gut daran, uns dieser Droge zu enthalten und den «Fluch des zwiefachen Wollens», die Qual der feindlichen Zwillinge in uns, weiter auszuhalten und – drücken wir es weniger pessimistisch aus – zu gestalten. Wenn Dr. Jekyll die Teamidee gekommen wäre und wenn er gewusst hätte, dass er seinen Mr. Hyde auch in der Form aus seinem Gefängnis hätte befreien können, dass er ihn auf einem Stuhl sprechen und fühlen ließe (vgl. S. 150), statt ihn agierend auf die Menschheit loszulassen, wer weiß, vielleicht lebte er noch heute,
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