Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation
Momente, die notwendig konflikterzeugend sind:
1. Hochdifferenzierte kognitive und motivationale Ausstattung , mit der es ihm gelingt, an ein und derselben Sache vielerlei Aspekte und Merkmale auszumachen. So kann ich zum Beispiel einen Stuhl unter den Gesichtspunkten seiner Bequemlichkeit, seiner Ästhetik, seiner Kosten, seines Materials und so weiter betrachten und bewerten – und jeder seiner Aspekte ist geeignet, Mitglieder meines inneren Ensembles zu reizen: den bequemen Genießer , den Schönheitsbewussten , den Geizhals , den Ökofreak , die alle etwas anderes anstreben und alle auf Verschiedenes achten. Und dies ist nur das allersimpelste Beispiel.
2. Großer Erwartungs- und Planungshorizont , durch welchen der Mensch nicht nur die kurzfristige Befriedigung seiner Bedürfnisse im Hier und Jetzt anstrebt, sondern auch und vor allem die langfristige Sicherung und Steigerung seiner Existenz zum Ziel hat. Wie schön wäre es doch, in der Sonne zu liegen – aber nein, der Winter wird kommen, und ich muss das Dach rechtzeitig ausbessern. Während das Tier sein Heil in der Gegenwart sucht, fühlt der Mensch sich ständig aufgerufen, diese Gegenwart in den Dienst der erwarteten oder erstrebten Zukunft zu stellen und bei all seinen Handlungen auch die Langzeitfolgen zu bedenken: ein ewiger Konflikt zwischen dem Augenblicksgenießer und dem Langzeitstrategen.
3. Animalisches Erbe und humane Sittlichkeit. Als Säugetier und Raubtier haben wir eine lange Evolutionsgeschichte hinter uns – und in uns. Unsere Vorvorfahren waren Sieger im Überlebenskampf und haben diese Siegereigenschaften als animalisches Erbe an uns weitergegeben.
Wie konnte der Mensch überleben? Indem er in seinem Wollen und Trachten eine doppelte Ausrichtung entwickelte. Zum einen ist er mit einem ungeheuren Überlebenswillen ausgestattet, was seine individuelle Existenz angeht. Diesen teilt er mit allen anderen Tieren. Hierfür ist jedes Mittel recht, hier ist jeder sich selbst der Nächste, und in diesem Sinn hat der Egoist einen uralten Stammplatz im inneren Ensemble des Menschen, den er bis heute gut behauptet hat. Das einfache und übersichtliche Prinzip «Egoismus» musste aber an zwei Stellen durchbrochen werden, um ein Überleben der Gattung Mensch zu ermöglichen. Die eine Stelle verbindet uns noch mit dem Tier: Bei der Aufzucht und dem Schutz der eigenen Kinder sind wir, ohne dass der Egoist völlig von der Bildfläche verschwinden würde, doch auch auf Hingabe und Selbstlosigkeit ausgerichtet. Diese Art von Altruismus, die nicht der Selbsterhaltung, sondern der Arterhaltung dient, müssen wir uns nicht in sittlicher Anstrengung abringen; sie ist uns (mehr oder minder) als Trieb und Neigung eingegeben, als Nachfahre eines uralten Brutpflege-Instinkts. So ist es eine existenzielle Tatsache, dass wir sowohl individuelle Lebewesen mit ureigenem Daseins- und Entfaltungsrecht sind als auch (nur) ein Glied einer langen Kette, der wir uns dienend einordnen, indem wir zeugen, gebären, aufziehen und sterben. Nichts kann diese Unterordnung des Individuums unter das «größere Ganze», unter die Kette der Menschheitsentwicklung, drastischer belegen als die Unumstößlichkeit seines Todes: dass wir, wie man so schön sagt, den nachfolgenden Gliedern «Platz machen».
Die zweite Stelle, an der das Prinzip «Egoismus ohne Skrupel» durchbrochen werden musste, ist die menschliche Gesellschaft. Es ist eine biologische Tatsache, dass der Mensch als Einzelwesen ein schlechter Überlebenskünstler ist und sich nur als soziales, gruppenbildendes Wesen erhalten kann. Die Urhorde, später der Stamm, ist von Anfang an ein weiteres größeres Ganzes, als dessen Teil das Individuum sich empfinden muss und dessen Gedeih und Verderb mit dem persönlichen Schicksal untrennbar verbunden ist (vgl. Redlich 1997, S. 107f.).
Für die Seele des Menschen bedeutet dies ein eingebautes Konfliktpotenzial: Neben dem Egoisten , der das System Ich zu optimieren strebt und die Gemeinschaft für das eigene Wohlleben auszunutzen trachtet, steht ein Gegenspieler, der das System Wir innerseelisch repräsentiert und der das Ich dem Wir dienend unterordnet.
In Abbildung 47 finden Sie beide Gedanken auf einen Blick zusammengefasst – die doppelte Einbindung des Individuums in einen (arterhaltenden) Kontext der Gattung und in einen (am Gemeinwohl orientierten) Kontext der Gemeinschaft.
Abb. 47:
Das menschliche Individuum (als «Krone der Schöpfung») ist in
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