Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation
du im Herzen noch so weinen,
nach außen sollst du heiter scheinen!
Gegen diese mächtige Allianz von Regisseur, Star und Souffleur hat Bruder Schwermut keine Chance, jedenfalls so lange nicht, wie Publikum da ist.
Zum anderen lauert hinter dem Vorhang ein Bertram Bissig , der gar nicht immer lieb und nett, sondern von klammheimlicher Fiesität ist und ganz gern einmal nicht nur Fliegen etwas zuleide täte, der manchen Zorn und manche Verachtung auf Lager hätte, die an den Mann und an die Frau gebracht sein wollen. Aber Sunnyboy bedeutet ihm: «Mach dich hier nicht unbeliebt!» – und drängt ihn mehr oder minder erfolgreich ab.
Der Souffleur mahnt flüsternd mit Wilhelm Busch:
Denn wer nicht höflich nach allen Seiten,
hat doch nur lauter Verdrießlichkeiten!
Bertram Bissig weiß nun nicht, wohin mit seiner Energie! Hin und wieder gelingt es ihm, von hinten mit einer spitzen Mistgabel nach vorn zu stochern, sodass Sunnyboys Fröhlichkeit zuweilen eine leicht aggressive Beimischung erhält, wie sie für «frotzelnde» Männerrunden typisch sein kann (s. Abb. 56).
Abb. 56:
Beispiel eines Stammspielers Sunnyboy mit seinen verdeckten Antipoden und einem Souffleur
Unversehens sind wir auf eine neue Kategorie von Ensemblemitgliedern gestoßen: die Souffleure . Sie verwandeln die früher einmal aufgenommenen Leitsätze des Lebens in aktuelle Einflüsterungen und nehmen dadurch Einfluss auf das Bühnengeschehen. Mancher Souffleur verkörpert in Reinkultur die normativen Botschaften wichtiger Lebenspartner aus Vergangenheit und Gegenwart, ihre Einschärfungen, wie man zu sein hat. Auch und nicht zuletzt in den Souffleurkästen haben wir «unsere Lieben» versammelt. Zirkler (Diplomarbeit 1996) spricht von «Museumsgestalten», die als «graue Eminenzen» wirksam werden, selbst nicht in Erscheinung treten, aber die auftretenden Akteure mit Nachdruck beeinflussen.
Der ewige Widerhall solcher Fremdstimmen (Introjekte) kann eine Behinderung darstellen; besonders, wenn sie sich mit imperativischer Unabdingbarkeit aufdrängen (Wagner 1984, vgl. S. 165 in diesem Buch) und wenn sie «irrationale Überzeugungen» (Ellis 1977; vgl. «Miteinander reden 1», S. 77f.) enthalten, können sie dem Menschen arg zusetzen und ihn in starren Mustern gefangen halten.
Mögen diese Sätze auch in «Fleisch und Blut übergegangen» sein, so ist es doch im Zuge der Selbsterziehung und persönlichen Entwicklung möglich, sie zu entschärfen oder zu verwandeln. Anstelle des Satzes «Nach außen sollst du heiter scheinen» mag dann ein neuer Souffleur die Verse von Erich Kästner anstimmen:
Sei traurig, wenn du traurig bist,
steh nicht vor deiner Seele Posten.
Den Kopf, der dir ans Herz gewachsen ist,
wird’s schon nicht kosten!
Beispiel «Ein Bündelchen Widerspruch»
Das folgende Beispiel ist dem berühmten Tagebuch entnommen, das die 13- bis 15-jährige Anne Frank von 1942 bis 1944 in einem Amsterdamer Hinterhaus führte, darin sich ihre Familie zusammen mit anderen jüdischen Flüchtlingen vor den NS-Schergen über Jahre versteckt hielt (Frank 1992). Es handelt sich um die allerletzte Eintragung vom 1. April 1944. Drei Tage später wurde sie entdeckt und in ein Konzentrationslager deportiert, in dem sie ein Dreivierteljahr später umkam. Man kann diesen Text nicht lesen und für Illustrationszwecke heranziehen, ohne die Erschütterung noch einmal zu erleben, die der reale Kontext dieses Tagebuchs wieder und wieder heraufbeschwört. Das Entsetzen über den Holocaust geht uns auch und vor allem anhand von leibhaftigen Einzelschicksalen nahe.
In Anne Franks Tagebuch verbinden sich kindliche Unbekümmertheit und eine erstaunliche Reflexionsfähigkeit zu einem Text, dessen letzte Fassung sie selbst zur Veröffentlichung vorgesehen hatte. In einer Art Selbstanalyse beschreibt sie sich in einem ihrer fiktiven Briefe an eine erdachte beste Freundin («Liebe Kitty!»): «Ich habe nicht umsonst den Ruf, daß ich ein Bündelchen Widerspruch bin!» (S. 311ff.). Im nächsten und zugleich letzten Brief an Kitty erläutert sie ausführlich diesen Ausdruck. Zum einen habe er die (äußere) Wortbedeutung, dass sie anderen gegenüber zum Widerspruch neige. Dafür sei sie bekannt. Dann gebe es aber eine zweite Wortbedeutung, für die sie nicht bekannt sei – und das sei ihr Geheimnis: «Ich habe Dir schon öfter erzählt, daß meine Seele sozusagen zweigeteilt ist. Die eine Seite beherbergt meine ausgelassene Fröhlichkeit […] und vor
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