Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation
nicht verlieben?
Abb. 77:
Das Zusammenspiel zweier Innerer Teams beim Verlieben nach den Prinzipien der wohltuenden Ergänzung und der vitalisierenden Erweckung
Reziproke und komplementäre Hervorlockungen
Die Chemie des Zwischenmenschlichen ist auch im beruflichen Bereich von Bedeutung. Dass wir am So-Sein des anderen auslösend beteiligt sind, merken wir zum Beispiel als Seminarleiter in unseren Kommunikationskursen. Einer aus unserem Kreis hat häufig und überwiegend Teilnehmer, die sehr nett, bewundernd und dankbar sind. Eine andere hat eher solche, die sich kritisch, empfindlich und zum Teil aggressiv geben. Eine Dritte hat vielleicht solche Teilnehmer, die ihre anhängliche und zutrauliche Seite hervorkommen lassen. Ich bekomme es überwiegend mit «friedlichen» Zeitgenossen zu tun.
Im Modell des Inneren Teams ausgedrückt: Indem der Leiter oder die Leiterin mit ihrer inneren Mannschaftsaufstellung auftritt, hat sie eine ganz bestimmte Ausstrahlung, mit der sie beim Gegenüber für ganz bestimmte Teammitglieder Einladungen ausspricht und Ausladungen für andere. Die «entsprechende» Reaktion auf eine solche Einladung kann reziprok und/oder komplementär sein. «Reziprok» heißt: Ein ebensolches Teammitglied kommt hervor («Wie man in den Wald hineinruft …»). Wenn ich selbst einen netten Kerl in meiner Vordermannschaft habe, der niemandem etwas zuleide tut, dann bin ich bei reziproker Resonanz auch eher von netten Kerlen umgeben. «Komplementär» heißt: Ein anderes, aber dazu passendes Teammitglied wird aktiviert. Zum Beispiel bei warmherziger mütterlicher oder väterlicher Ausstrahlung traut sich bei den Teilnehmern das innere Kind hervor, bei einer strengen Ausstrahlung («Mit mir ist nicht gut Kirschen essen!») kommen zunächst vorsichtige Duckmäuser an die Rampe – und/oder reziprok: aggressive Herausforderer.
In Übungen und Experimenten haben wir herausgefunden, dass bereits die «Erstausstrahlung» innerhalb von fünf Minuten eine gewisse vorläufige Aufstellung der Gegenmannschaft hervorruft. Freilich ist dieses Empfangskomitee auf Seiten der Teilnehmer auch von eigengesetzlichen und situativen Faktoren abhängig, sehr sogar. Dennoch lohnt es sich, den eigenen Ausstrahlungseffekt unter die Lupe zu nehmen, um auf die ausgelöste Resonanz vorbereitet zu sein und mit ihr umgehen zu können.
Dieses zwischenmenschliche dynamische Wechselspiel ist das eine. Zusätzlich kann – gleichzeitig oder zeitversetzt – ein innermenschliches dynamisches Wechselspiel hinzukommen. Bleiben wir im Beispielbereich der Seminarleitung. Angenommen, eine Kursleiterin führt in einem Wirtschaftsunternehmen eine Fortbildungsveranstaltung zum Thema «Kommunikation und Führung» durch. Teilnehmer: 14 männliche Führungskräfte. Die Leiterin ist eine junge Frau mit einer menschlichen, etwas mütterlichen Ausstrahlung, sie spricht unbekümmert, herzlich und empfindsam. In ihrer ganzen Art findet sich wenig von jener Hochleistungsbetonung, bei der man sich unmittelbar zusammennimmt und auf Perfektion schaltet. So kommt es, dass sich in den männlichen Führungskräften, die normalerweise mit ihrer perfekten Hochleistungsmannschaft antreten, etwas rührt: Die Verbannten wittern Morgenluft und stecken sehnsüchtig ihre Köpfe hervor, so ein Bedürftiger , ein Berührbarer , ein Hilfesuchender (s. Abb. 78 a). Sollte für diese zarten und weichen Wesen die Stunde der Befreiung gekommen sein? Am Nachmittag teilt sich die Gruppe, um an persönlichen Fragestellungen zu arbeiten. Hier verkehrt sich die innere Mannschaftsaufstellung (Abb. 78 b), die Empfindsamen und Berührbaren trauen sich hervor und bestimmen das Klima. Die Gruppenarbeit verläuft tiefgehend und solidarisch. Die professionelle Vordermannschaft ist abgemeldet und außer Dienst. Die Leiterin ist froh, weil für diese Art von Fortbildung, die den inneren Menschen mit einschließt, die Fassade der Perfektion ein Lernhindernis darstellen würde.
Abb. 78 a:
Normalaufstellung männlicher Führungskräfte
Abb. 78 b:
Die Antipoden trauen sich an die Kontaktlinie. Stammspieler (vorübergehend) «abgemeldet»
Abends allerdings, die Männer sind nun wieder unter sich, stehen die Berührten , wie bestellt und nicht abgeholt, wenig bühnenerprobt herum. Ein kleines Kind im Inneren fühlt sich von Mutter alleingelassen: Wer bringt mich denn nun ins Bett? So kann «man» nicht mit den Kollegen in Kontakt treten. Verlegenheit breitet sich aus
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