Mithgar 10 - Die schwarze Flut
Männer und heulende Ghule ihn an den Rand eines Abgrunds trieben. Und ehe er einen neuen Anlauf in Richtung des Königs nehmen konnte, schlug eine der widerlichen, weißen Leichengestalten mit pfeifender Klinge nach Tuck und verfehlte zwar den Wurrling, hieb jedoch tief in den Hals des Ponys. Das Tier taumelte vorwärts und brach tot zusammen, wobei es mit Tuck in die Schwärze der steilwandigen Schlucht stürzte. Tuck wurde im Fallen von dem toten Pony geschleudert und polterte über Strauch und Stein, und hinter ihm rutschte Schnee in die Tiefe. Dann schlug er mit dem Kopf irgendwo an, verlor das Bewusstsein, und der Lärm der Schlacht über ihm erreichte sein Ohr nicht mehr. Als Tuck wieder zu sich kam, wusste er nicht, wie viel Zeit seit seinem Sturz vergangen war, doch der Gefechtslärm war verstummt. Stattdessen hörte er von fern Rukhs in der abscheulichen Slük-Sprache brabbeln, sie bewegten sich auf dem Boden der Schlucht auf ihn zu, und er sah von Weitem das Licht der Fackeln, die sie in die Höhe hielten. Er hörte außerdem ein weiteres Geräusch, näher bei ihm - Hufe! - Ghule, dachte er und rappelte sich hoch. Sie suchen nach Überlebenden! Versteck dich! Ich muss mich verstecken! Er sah sich fieberhaft nach einem Versteck um, doch alles, was er sah, waren sein totes Pony und sein Bogen, der unweit im Schnee lag. Er hob ihn auf und floh lautlos auf dem Grund der Schlucht in nördlicher Richtung, während hinter ihm die Geräusche von Hufen und Rukhs näher kamen.
Die Schlucht verengte sich nun und stieg an, und Tuck rannte nach oben, bis er ins Schattenlicht hinauskam. Er befand sich inmitten der runden Grabhügel der Feste Challerain. Er lief ein kurzes Stück zwischen ihnen und gelangte an einen großen Kreis mit umgestürzten Steinen. Othrans Grabmal! Er eilte in die Mitte des Kreises und blieb vor einer niedrigen Steinruine stehen, die von schneebeladenen Ranken bedeckt war. Plündernde Rukhs hatten die Tür herausgerissen und zur Seite geworfen. Dort hinein floh Tuck und stolperte drei Stufen hinter dem Eingang hinab. Nun sah er im Schattenlicht, das durch die Öffnung fiel, ein Grab in der Mitte eines glatten Marmorbodens. Auch dieses hatte das niederträchtige Volk geschändet. Der steinerne Deckel war herabgeworfen worden, und Urnen und Truhen sahen aus wie von einem Streithammer zerschmettert.
Draußen kam das Geschrei der Rukhs immer näher, und Tucks Saphiraugen suchten in dem Halbdunkel verzweifelt das Durcheinander ab, entdeckten aber nichts, womit er sich verteidigen konnte. Doch halt! Das Grab! Rasch trat er an den Sarkophag, den die Räuber zertrümmert hatten. Das Schattenlicht des Dusterschlunds schien blass hinein und beleuchtete die Totenbahre. Dort lagen im Staub der Zeiten die vergilbten Gebeine des toten Sehers, zerschmettert wie von einer Rukhen-Keule, und leere Augenhöhlen starrten Tuck aus dem grinsenden Schädel an. Uralte Reste eines priesterlichen Gewandes klebten an dem Skelett, und eine schlichte, aber leere Messerscheide war um die Mitte gegürtet. Die fleischlosen Arme waren über den Rippen wie zur Ruhe gekreuzt, doch die Knochenfinger beider Hände umklammerten je eine Waffe. Sie schienen zeremonieller Natur zu sein, doch handelte es sich nichtsdestoweniger um Waffen: zum einen das Langmesser eines Menschen, glänzend und scharf, wiewohl vor einer Ewigkeit ins Grab gelegt; in die silberne Schneide waren goldene Runen geritzt - die Grabschänder hatten es nicht geraubt, da es eine Klinge aus dem untergegangenen Atala war, und Rukhs hielten eine Berührung mit ihr nicht aus. Es war jedoch die andere Waffe, die Tuck sofort an sich riss: ein Pfeil, klein, gerade und matt rot, aus einem fremden, leichten Metall gefertigt - doch er passte zu dem Bogen des Wurrlings, als hätte er Äonen darauf gewartet, von ihm benutzt zu werden. Das Geschrei kam nun näher, und Tuck legte den Pfeil an die Sehne. Wenn sie mich entdecken, wird wenigstens einer von ihnen vor mir sterben. Dann schlüpfte er in den Schatten hinter dem Sarkophag. Leises Hufgetrappel war nun zu hören, und eine Gestalt, die durch den Eingang kam und ein Ross führte, verdunkelte das Schattenlicht. Ein Ghul! Tuck spannte den Bogen bis zum Anschlag, er zielte auf die dunkle Gestalt und wartete, bis diese sich in das gespenstische Licht bewegte, damit er sie gewiss nicht verfehlte. Die rauen Stimmen wurden sehr laut, als die Rukhs draußen vorbeizogen, und ihre Fackeln, mit denen sie die Finsternis absuchten,
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