Mithgar 10 - Die schwarze Flut
wurde sie zum Langmesser eines Menschen.
»Holla, das ist aber eine scharfe Schneide!«, rief Galen, nachdem er sie mit dem Daumen geprüft hatte. »Diese Kraftrunen, ich kann sie nicht lesen, doch sie sehen aus, als wären sie Atalanisch, die vergessene Sprache eines untergegangenen Reiches. Dann wäre dies eine Klinge aus Atalar; sie sind berühmt für ihre Wirkung im Kampf gegen das Böse.« Er wollte das Messer an Tuck zurückgeben.
»Nein, Fürst Galen.« Tuck weigerte sich, es zu nehmen. »Behaltet die Klinge, und nehmt auch die Scheide, die im Grab liegt, denn ich bin im Schwertkampf ungeübt und würde mich sehr wahrscheinlich nur selbst verletzen. Dies hier, der Bogen, das ist meine Waffe. Außerdem sind wir somit beide bewaffnet - wenn ich allerdings die Wahl hätte, wäre Euer Stahl länger und mein Köcher voll.«
Galen ging zu dem zerstörten Grab und nahm die schmucklose Scheide von Othrans Seite. Als der Prinz sie sich umgürtete, sah Tuck, welche Ähnlichkeit Galen sowohl mit seinem Vater Aurion als auch mit Igon, seinem Bruder, hatte. Er war Mitte zwanzig, mit aller Ausdauer und Schnelligkeit der Jugend, aber auch mit großer Kraft ausgestattet. Hochgewachsen war er, wie sein Vater, sechs Fuß, vielleicht noch einen Zoll mehr. Sein Haar war dunkelbraun wie Igons, und seine Augen waren ebenfalls stahlgrau, wenngleich sie im Schattenlicht schwarz wirkten. Er trug graue, mit Gänsedaunen gefütterte Kleidung, und auch sein Mantel war grau. Auf seinem Kopf saß ein Helm aus Leder und Stahl, und an seiner Hüfte hing nun ein Langmesser. Er band die Scheide seines Schwerts an Gagats Sattel und drehte sich zu Tuck um. »Wisst Ihr etwas von Plänen, wo sich die Leute des Königs sammeln?«
»An den Schlachtenhügeln und dann in Steinhöhen«, antwortete Tuck. Der Wurrling runzelte besorgt die Stirn. »Prinz Galen, ist der König denn wohlauf? Kam er frei? Als ich ihn zuletzt sah, wurde er von allen Seiten bedrängt, doch ich weiß nicht, welchen Ausgang der Kampf nahm, denn ich wurde in jene Schlucht da hinten geworfen.« Der Ausdruck auf Galens Gesicht war schmerzhaft anzuschauen. »Ich weiß nicht, welches Geschick meinen Vater traf, Herr Tuck. Wir wurden im Kampf getrennt, und ich sah ihn nicht wieder. Doch mein Herz ist stets voll Hoffnung, auch wenn das, was ich sah, nichts Gutes verhieß. Es waren der Ghola zu viele. Ich wurde zur Seite gezwungen, und mein Schwert zerbrach, als es durch einen Gholenhelm fuhr. Doch ehe ich mir eine neue Waffe aus der Hand eines Getöteten nehmen konnte, gelang der verbliebenen Streitmacht der Menschen der Durchbruch; viele wurden in alle Richtungen zerstreut, die meisten allerdings ritten so schnell sie konnten nach Osten. Doch Sturmwind mit dem König auf seinem Rücken konnte ich nirgendwo sehen. Ich lenkte Gagat in die Schlucht, um zu warten, bis ich ebenfalls fortreiten konnte, aber dann kamen die Rukha und suchten, und ich führte das Pferd in die Krypta, in der wir jetzt sind. Mehr kann ich zum Verbleib meines Vaters nicht sagen.« Tuck sank das Herz ob dieser ungewissen Nachricht. »Auch wenn ich nur kurze Zeit das weit blickende Auge des Königs war, liebe ich ihn doch sehr, denn er ist zwar ein großer Führer, aber in vielerlei Hinsicht war er auch wie ein Vater zu mir.«
»Sein weit blickendes Auge?« Galen sah ihn verwirrt an. »Das klingt nach einer Geschichte, die erzählt werden will, doch könnt Ihr es tun, während wir nach Süden reiten, denn wir müssen fort von hier. Dieser Ort wimmelt von Rukhas, und sie könnten jederzeit wiederkommen.«
Also spähten sie hinaus ins Schattenlicht und führten Gagat zwischen den verlassenen Grabhügeln hindurch. Dann stiegen sie auf und ritten leise in nordwestliche Richtung, der Wurrling rittlings hinter dem Mann. Bewaffnet waren sie mit einem einzigen Pfeil sowie einer Klinge aus Atala - und mit ihrem Mut. Heimlich und auf gewundenen Pfaden, die Prinz Galen kannte, arbeiteten sie sich langsam durch die Ausläufer der vorgelagerten Hügel um den Berg Challerain herum, erst in westlicher Richtung und schließlich nach Süden. Zuletzt ließen sie den ausgebrannten, verkohlten Koloss der Feste Challerain und die zerstörte Stadt hinter sich, und Prinz und Dorngänger ritten den Schlachtenhügeln entgegen.
»Dann habt Ihr nach meiner Zählung mit Eurem kleinen Bogen also siebzig, achtzig oder gar mehr von dem Gewürm getötet!« Fürst Galen kippte mit seinem Stuhl nach hinten und sah seinen juwelenäugigen
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