Mithgar 10 - Die schwarze Flut
könnte es so weit sein, Prinzessin?« Tuck drehte sich zu Laurelin um, deren Gesicht unter der Kapuze verborgen war.
»Am ersten Tag des Julfestes«, sagte Laurelin verzweifelt. »An diesem Tag werde ich außerdem neunzehn.«
»Nein, so etwas!«, rief Tuck aus. »Am letzten Tag des Julfests hat meine Merrili Geburtstag, und es ist ein ganz besonderer. Sie wird zwanzig, und sie ist dann nicht länger eine Maid, sondern wird eine Jungmamme. Aber, ach, weder sie noch Ihr habt viel Grund zur Fröhlichkeit.«
»Hochkönig Aurion hat mir nur noch einen Tag des Wachens nach heute Abend gewährt. Aber an meinem Geburtstag, dem kürzesten Tag des Jahres - der erste Jultag, übermorgen -, fährt die letzte Wagenkolonne in Richtung Süden ab, nach Pellar. Und ich werde mit ihr fahren, nach Caer Pendwyr.« Die Prinzessin sah niedergeschlagen aus.
»Ai-oi! Aber es ist trotz allem Euer Geburtstag«, versuchte Tuck sie aufzuheitern. »Und zumindest das können wir feiern, auch wenn ich kein Geschenk für Euch habe, nichts außer einem Lächeln jedenfalls.«
Zaghaft erwiderte die Prinzessin das Lächeln und strich sich eine lose Locke aus dem Gesicht. »Eure Anwesenheit allein ist Geschenk genug, Herr Tuck. Ja, Eure Anwesenheit macht mich froh. Bitte kommt zu meinem Geburtstagsfest, morgen am Vorabend von Jul. Hochkönig Aurion gibt eine Feier im Bankettsaal, und alle Hauptleute sollen teilnehmen. Ach, aber das sind solch ernste Krieger, alle so freudlos, außer Vidron, Igon und natürlich dem Hochkönig selbst.«
»Aber Prinzessin«, protestierte Tuck, »ich bin kein Hauptmann. Danner und ich sind nur Leutnants. Hauptmann Patrel ist derjenige, den Ihr einladen solltet.«
»Unsinn!« Laurelin warf den Kopf in den Nacken. »Ich lade ein, wer mir beliebt. Schließlich feiern wir meinen Geburtstag. Doch wenn es Euch glücklicher macht, lade ich alle drei ein - Hauptmann Patrel, Herrn Danner und Euch selbst, Herr Tuck.«
»Aber wir haben nichts anzuziehen, außer unseren gro ben Kleidern, weder feines Wams noch schimmernden Helm oder... « Laurelin unterbrach Tucks Einwände, indem sie mit dem Fuß aufstampfte. »Keine Widerrede, mein Herr!«, rief sie aus, und ihre bedrückte Stimmung war einer belustigten Entschlossenheit gewichen. Ein Lächeln spielte um ihre Mundwinkel, ihre Augen funkelten, und sie verfiel in die steife Ausdrucksweise, wie sie bei Hofe herrschte. »Ich werde für die lästigen Einzelheiten Eurer Gewandung Sorge tragen. Schart Ihr nur Eure beiden Freunde morgen beim Wachwechsel um Euch. Ich werde Euch hier am Wall treffen, wie es meine Gewohnheit ist, und dann werden wir Euch drei ausstaffieren lassen, denn ich verfüge über geheime Kenntnis von Kleidung in genau Eurer Größe, doch einem Prinzen angemessen. Ich werde Euch für mein Fest einkleiden, sei es ein Abschieds- oder ein Geburtstagsfest oder schlicht eine Feier aus Anlass des bevorstehenden Jultags.«
Tuck warf resignierend die Arme in die Höhe und schickte sich ins Unvermeidliche, während die Prinzessin über den Gesichtsausdruck ihres winzigen, neu gewonnenen Vertrauten lachte. Dann erzählte Laurelin von Fürst Galen, und Tuck hörte zu, und Wurrling wie Prinzessin blickten über die Ebene, bis es so dunkel wurde, dass man nichts mehr sah.
Während der ersten Hälfte der nächsten Tagwache kam eine von Laurelins Hofdamen zuerst zu Tuck, darauf zu Danner und schließlich zu Patrel, um mit einer Schneiderelle bei ihnen Maß zu nehmen. Als sich die neugierigen Wurrlinge jedoch erkundigten, wozu die Zahlen benötigt würden, lächelte die Dame nur und antwortete nicht auf ihre Fragen.
Den restlichen Tag über waren die drei Zielscheibe von Hohn und Spott ihrer Wurrlingskameraden. »Hängt mir bloß die Daumen nich' inne Suppe, meine Bokker«, sagte Dilbi. »Passt auf, was ihr tut und sagt, und steigt den Damen beim Tanzen nicht auf die Zehen«, erklärte Delber lachend. »Und wenn ihr Tee trinkt, dann spreizt eure kleinen Finger nicht ab«, warnte Argo. »Merkt euch - schön mit Messer und Gabel essen und nicht einfach mit euren Beißerchen reinhauen wie gewöhnliche Tiere«, fügte Sandor hinzu. Den ganzen Tag mussten sich Tuck, Danner und Patrel diese gutmütigen Spötteleien anhören, begleitet von rauem Gelächter.
Eine Stunde vor Sonnenuntergang kam Laurelin. Sie stand allein auf dem Wall und suchte nach Anzeichen für die Rückkehr ihres Verlobten. Lange suchte sie, aber wieder blieb ihre Wache erfolglos, denn die Ebenen lagen leer da,
Weitere Kostenlose Bücher