Mithgar 11 - Die kalten Schatten
»Tag« her, seit der Aufseher zuletzt vor ihrem Käfig gewesen war. Doch das Licht näherte sich weiter, und Laurelin sah zwei Lökha den Korridor betreten. Unter dem Klappern von Schlüsseln öffnete einer der Lö kha ihre Zelle, und man schob sie nach draußen. Blinzelnd trottete die Prinzessin ein zweites Mal den krummen Gang entlang und durchquerte den Treppenschacht, nur diesmal nach oben statt nach unten.
Während sie die Stufen hinaufstiegen, zählte Laurelin mit: Acht Treppenfluchten ließen sie hinter sich, ehe sie oben an die Tür kamen. Die Prinzessin zitterte, als sie den zentralen Gang erreichten, denn die Gefangenschaft hatte sie geschwächt. Die Lökha führten sie durch eine angrenzende Tür, hinter der sie noch einmal fünf Treppen hinaufstiegen, bevor sie schließlich zu einem großen, leeren Geschoss kamen, aus dem weitere Stufen spiralförmig nach oben ins Dunkel führten, hinauf in Modrus Eisernen Turm. Beim Aufstieg in dem dunklen Schacht ging ein Lökh vor der Prinzessin und einer hinter ihr, und sie drückte sich erneut an der Wand entlang, da es auch hier kein Geländer gab, das sie vor einem Absturz bewahrt hätte. Nach oben ging es, vorbei an schmalen Fensterschlitzen, die auf den Dusterschlund hinausblickten, Absatz auf Absatz, und Laurelins Atem ging rau und keuchend. Und als sie kurz davor war, zusammenzubrechen, hielten die Lökha, um zu verschnaufen, denn auch ihnen ging die Luft aus. Laurelin ließ sich auf den Treppenabsatz sinken, lehnte den Kopf gegen die kalte Wand und keuchte.
Zu früh für Laurelin standen die Lökha wieder auf und fauchten sie an, und der quälende Aufstieg begann von neuem. Vier weitere Fluchten überwanden sie, ehe sie zuletzt an eine eisenbeschlagene Tür mit einem Messingklopfer kamen, den der vordere Lökh einmal anhob und fallen ließ.
Nach einer kleinen Weile öffnete ein Rukh die Tür, auch dieser stumm gemacht. Laurelin wurde in einen großen Saal an der Spitze des Eisernen Turms geführt. Er war rund und maß beinahe sechzig Fuß im Durchmesser, und er lag größtenteils im Dunkeln. An den Wänden konnte man jedoch schwach Tische erkennen, auf denen sich Schriftrollen häuf ten, dazu Prismen und Destillierkolben, Astrolabien, Tabellen und in Metall gegossene geometrische Figuren, Phiolen mit Chemikalien sowie weitere seltsame Geräte und Lehrbücher.
Auch Folterwerkzeuge gab es hier: eine Kohlenpfanne mit glühenden Eisen, Fesseln, eine Streckbank und andere grauenhafte Utensilien.
Laurelins Blick wanderte zu einem massiven Postament in der Mitte des Raumes; allerdings verwirrte sie das Ding darauf: Es sah aus wie ein großer, schwarzer, unregelmäßiger Klecks; es schien jedoch eher ein Fehlen von Licht zu sein, was die Aufmerksamkeit der Prinzessin fesselte. Er hatte die Form und Größe eines schweren, ungleichmäßigen Steins, sieben Fuß lang, vier hoch, vier breit. Und er saß massig da, wie ein großes, schwarzes Gähnen, das Licht in seinen bodenlosen, dunklen Schlund saugte.
Die Lökha führten Laurelin um dieses Ding herum zu einem Eisenpfosten mit einer Kette daran und schlossen ihre gesunde Hand in den eisernen Armreif. Und während sie hinausstampften, riss Laurelin den Blick von dem schwarzen Fleck los und schaute woandershin, und sofort stockte ihr der Atem, denn dort, mit den Handgelenken an die Wand gefesselt und dem Kopf auf der Brust, hing ein Elf. »Fürst Gildor!«, schrie Laurelin.
Langsam hob der Elf den Kopf und sah sie an; sein Gesicht war übel zugerichtet. Er starrte lange und sagte schließlich: »Nein, Teure, ich bin Vanidor, Gildors Zwillingsbruder.«
Zischendes Gelächter drang aus dem Dunkel. »Dann muss es also Fürst Vanidor heißen, ja?«
Laurelin fuhr herum und sah Modru aus der Finsternis treten.
»Fürst Vanidor, Fünfter in der Thronfolge der Lian«, sagte der Böse. »Vielleicht sollte er Euren Platz einnehmen, meine Liebe, denn wenngleich Ihr dem Thron des Hochkönigs nahe steht, so fließt in ihm doch das Blut der Dolh.« Modru hielt inne und spreizte die Hände. »Aber ach, das edle Blut eines königlichen Fräuleins kommt meinen Bedürfnissen eher noch mehr entgegen als das eines hochgeborenen Lian, denn Ihr entstammt Mithgar und er nicht.«
»Königliches Fräulein?« Vanidor sah Laurelin an.
»Ja!« Modrus Stimme klang hämisch, als er die Prinzessin an den verfilzten Haaren packte und ihr Gesicht ins Licht der Fackel drehte. »Hier ist der Preis, nach dem Ihr strebt, Narr!«
Hohlwangig und
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