Mithgar 11 - Die kalten Schatten
geschah es vor fünf Jahrhunderten, dass jede Nacht zwei riesige Trolle kamen, Gestein abbauten und einen Damm über den Dämmerbach errichteten. Ein Jahr lang arbeiteten sie schwer, dann war es schließlich vollbracht. Der Dämmerbach stürzte nicht mehr in einem anmutigen Wasserfall in den Abgrund, sondern das Wasser blieb hinter dem Damm der Trolle gefangen. Und der Schwarze Teich wuchs rasch an und füllte bald das gesamte Tal unter der Großen Wand aus.
Wieder verging einige Zeit, etwa ein Jahr, glaube ich. Dann kam in dunkler Nacht ein mächtiger Drache geflogen.«
»Ein Drache!«, platzte Tuck heraus.
»Jawohl, ein Drache«, erwiderte Gildor und nickte.
»Dann sind die alten Geschichten also wahr«, sagte Tuck. »Es gibt wirklich Drachen, und sie sind nicht nur Fabelgestalten aus Märchen, die man sich am Herd erzählt.«
»So ist es, Tuck«, bestätigte Gildor. »Drachen gibt es wirklich, sowohl Feuerdrachen als auch Kaltdrachen. Einst spien alle Drachen Flammen, doch jene, die Gyphon im Großen Krieg halfen, wurden ihres Feuers beraubt und verwandelten sich in Kaltdrachen; und sie unterliegen dem Bann, denn die Sonne tötet sie, auch wenn sie nicht den Dörrtod sterben - dieses Schicksal bleibt ihnen aufgrund ihrer Schuppenhaut erspart. Dennoch sind Kaltdrachen Furcht einflößende Feinde, und ihr Ausstoß ist schrecklich: Zwar brennt er nicht, doch er löst Fels und Metalle auf - selbst Silber rostet unter dem ätzenden Ausfluss und er verkohlt Fleisch auch ohne Feuer.«
»Aber wo sind sie dann, die Feuerdrachen und die Kaltdrachen?«, fragte Tuck. »Ich meine, wenn es Drachen wirklich gibt, warum sieht sie dann niemand?«
»Sie schlafen, Tuck«, antwortete Gildor. »Tausend Jahre lang verstecken sie sich in Höhlen in den abgelegensten hohen Bergen, nur um dann aufzuwachen, das Land zu verheeren und ihre metallischen Rufe herauszubrüllen. Vor fünfhundert Jahren haben sie sich in ihren Höhlen schlafen gelegt; in fünfhundert Jahren von heute an werden sie aufwachen, und sie werden hungrig sein und ein zweitausendjähriges Wüten beginnen, ehe sie wieder schlafen. Sie alle sind grausame Geschöpfe, besonders die Abtrünnigen und die Kaltdrachen, denn diese bindet das Gelöbnis nicht.« Tuck runzelte die Stirn. »Abtrünnige? Und welches Gelöbnis?«
»Vor langer Zeit«, erklärte Gildor, »in der Ersten Epoche Mithgars, kamen Drachen zum Schwarzen Berg, und sie hatten ein gewaltiges Unterpfand bei sich - den Drachenstein. Als Gegenleistung dafür, dass die Magier versprachen, den Stein auf ewig zu verstecken, seine Geheimnisse zu bewahren und ihn vor allen zu schützen, die anderes im Sinn hatten, gelobten die meisten Drachen, ihre Raubzüge auf ein Maß zu beschränken, das sie zum Leben brauchten - hin und wieder eine Kuh, ein Pferd und dergleichen. Sie gelobten weiterhin, sich nicht in die Angelegenheiten anderer Völker einzumischen, es sei denn, diese hätten sich zuerst in die Angelegenheiten der Drachen eingemischt; in diesem Fall stand es ihnen frei, gerechte Vergeltung zu üben. Sie gelobten, nicht zu plündern - außer zum Lebensunterhalt. Und sie gelobten, nach keinen Schätzen zu trachten, die jemandem gehörten; verlassene Schätze allerdings sind nach wie vor als Beute frei.
Einige Drachen lehnten es ab, sich von dem Gelöbnis binden zu lassen, so wie auch einige Magier sich nicht von ihrem Teil der Abmachung fesseln lassen wollten, und diese alle sind Abtrünnige.«
»Schrecklich wird der Tag sein, wenn die Drachen erwachen«, sagte Brega grimmig, »denn sie sind das Unheil aller Völker, besonders, wie Ihr sagtet, Fürst Gildor, die Abtrünnigen und die Kaltdrachen. Die Chäkka haben häufig unter diesen grausamen Geschöpfen gelitten: Immer wieder haben Drachen unsere Schätze geraubt und unseren schwer ver dienten Reichtum gehortet.« Der Zwerg sah Gildor an. »Doch der Drache, der in der Nacht zur Dämmertür kam, war er ein Kaltdrache wie Schlomp?«
»Ja, wie Schlomp, aber nicht Schlomp selbst, denn den Wurm hatte Elgo bereits getötet«, antwortete Gildor. Bei der Erwähnung von Schlomps Namen blitzten Bregas Augen zornig auf, und er schien etwas sagen zu wollen, doch Gildor fuhr fort. »Als das riesige Ungeheuer aus der nördlichen Ödnis nach Süden schwebte, hielten wir ihn zunächst für den mächtigen Schwarzhaut selbst, doch dann sahen wir, dass es Schupp von der Wüsten war. Und er trug eine schwere Last - eine sich windende Last -, etwas, das böse und lebendig war,
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