Mithgar 16 - Drachenmacht
sie unter sich zu begraben. Dennoch hatten sie überlebt, waren in der Nacht über Tage und tagsüber unterirdisch weitergezogen. Schließlich hatten sie den Grimmwall verlassen, das Dorf Inge umgangen, weil Baron Stoke keinerlei Spuren hinterlassen wollte. Die Khalian-Sümpfe hatten sie sehr bald erreicht, Stoke war mit den Vulpen vorausgeeilt und hatte die Drik und Ghok zurückgelassen, die ihm langsam durch die Sümpfe mit all ihren tödlichen Bewohnern gefolgt waren. Während des Tages hatten sich die Chün unter schlammigen Grashügeln verborgen, um der Sonne zu entgehen. Sie hatten Zuflucht gesucht, stattdessen jedoch Blutegel gefunden, die mit ihren blinden Saugmäulern nach Blut suchten. Zwei Nächte nachdem sie die Sümpfe betreten hatten, erreichten sie endlich die uralten Ruinen der Burg und flohen in die Verliese und Katakomben, wo Stoke und die Vulpen bereits auf sie warteten.
Und jetzt waren sie hier, in dieser stockfinsteren Krypta.
Wasser floss von ihren Beinen herunter und sammelte sich in Pfützen auf dem Boden, denn obgleich die Kammer trocken gewesen war, als sie die Tür aufgebrochen und eingedrungen waren, mussten sie auf dem Weg hierher durch Tunnel mit brackigem Wasser waten, deren Wände von Schleim überzogen waren und von deren Decken es tropfte. Vor dem schwachen Licht ihrer packeln waren einige Kreaturen hastig ins Dunkel geglitten. Sie hatten die Tür zur Krypta zerschmettert, in der der Sarkophag stand, und der Baron allein hatte den schweren Deckel heruntergestemmt und zu Boden geschleudert, wo er zerbarst. Und jetzt stand Stoke vor dem Leichnam und rezitierte uralte, mächtige Beschwörungsformeln, denn nur die Toten waren imstande ihm zu verraten, was er wissen wollte.
Stoke verzerrte vor tödlicher Konzentration das Gesicht. »Äkouse me!«, intonierte er dröhnend und befahl dem Toten, ihm zuzuhören.
Er ballte seine langen, klauenartigen Finger zu einer Faust, während er dem Toten gebieterisch befahl, ihm zu gehorchen: »Peiso moi!«
Schweiß trat Stoke auf die Oberlippe, als er rief: »Idoü tois ophtalmois tois toü nekroü!« Damit befahl er dem Kadaver zu sehen, was nur ein Toter sehen konnte, Vorstellungenjenseits von Zeit und Raum.
Stoke konzentrierte die schwarze Energie in seinem Wesen, während ihm der Schweiß über die Stirn lief, und stieß dann den nächsten Befehl aus: »Idoü toüs polemious toüs emoüs toüs nie nun dioköntous!« Der Tote sollte den Raum nach den Feinden durchsuchen, die Stoke verfolgten.
Salz brannte in seinen Augen, aber Stoke wischte sich den Schweiß nicht ab; hätte er es getan, hätte er damit die Kontrolle verloren, und zwar mit katastrophalen Folgen. Stattdessen verlangte er mit beschwörender Stimme: »Heure autoüs!« Finde den Feind!
Stoke knirschte vor Anstrengung mit den Zähnen, als er die zwingenden Worte ausstieß: »Tön pdton tön autön heure!«, mit denen er dem Leichnam befahl, die Fährte seiner Feinde aufzuspüren.
Stoke schwitzte am ganzen Körper vor Anstrengung, und seine Hände zitterten, als er gebot: »Eipe moi hö horäei!« Dies war der Befehl an den Kadaver, nun auch zu enthüllen, was er sah.
Mittlerweile bebte Stoke am ganzen Leib, denn diese uralten Beschwörungen erforderten mehr Energie, als die meisten Menschen aufbringen konnten, und seine Stimme brach, als er ausstieß: »Ana kai lekse!« Damit befahl er dem Toten, sich zu erheben und zu sprechen.
Der Schweiß strömte jetzt in Bächen von seinem Körper, seine Muskeln waren verkrampft, die Augen traten ihm aus den Höhlen, seine Kiefer mahlten und sein Verstand schrie förmlich nach Rast, als Stoke den letzten Befehl ausstieß: »Egö gär ho Stökos de keleuno se!« Damit rief er den Namen von Stoke an, der dem Toten jetzt gebot.
Als würde eine Legion in der Ferne qualvoll leiden, erfüllte sich die Kammer mit dem wispernden Stöhnen unzähliger Stimmen, während sich der Leichnam erhob. Drik und Ghok wichen vor Furcht zurück. Selbst die Vulpen suchten in den Gängen Schutz. Stoke, in dessen gelben Augen ein geisterhaftes Licht glomm, wiederholte den letzten Befehl. »Ego gär ho Stökos de keleuno se.’«
Eine verschrumpelte Hand hob sich, umklammerte den Rand des Sarkophags, eine Staubwolke stieg auf und welkes Fleisch sank herab. Langsam, quälend langsam, griff auch die andere Hand nach dem Rand des Sargs; das Zepter rollte zur Seite, frei von dem Jahrtausende währenden Griff. Zerfetztes Tuch zerfiel zu Staub und entblößte
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