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Mittelreich

Mittelreich

Titel: Mittelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Bierbichler , MITTELREICH
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Feuerzeug aus einem Schrank, legte dieses vor sich auf den Tisch, roch daran oder auch nicht, besah es mit einem Blick aus Fassungslosigkeit und Sehnsucht von allen Seiten und legte den Gegenstand dann wieder zurück an seinen Platz. Hin und wieder führte sie laute Gespräche mit dem Verstorbenen, die manchmal heftig entflammten, manchmal in zärtliches Flüstern übergingen. Am fortgeschrittenen Abend dann, wenn die Dienstboten und Knechte ihre Unterkünfte in den beiden Nebentrakten des Gutshofes bereits aufgesucht hatten, stand sie auf und verschloss alle Außentüren des Haupthauses. Danach ließ sie sich von ihrer Tochter ein einfaches Abendbrot bereiten, das sie schließlich in der Diele schweigend, aber unter ausdrücklich erwünsch ter Anwesenheit der Tochter zu sich nahm. Am Ende stand sie mit den Worten: Lösch die Lichter, wenn du zu Bett gehst, auf und verschwand grußlos im Eheschlafzimmer.
    Lösch die Lichter, wenn du zu Bett gehst, waren bis zu ihrem Todestag die einzigen Worte, die sie nach dem Tag, an dem der Schuss fiel, je wieder zu ihrer Tochter sprach. Diese paar Worte jedoch sprach sie, immer bevor sie zu Bett ging, jeden Abend. Sie hatte zur Tochter einen Abstand aufgebaut, aus dem weder ein Vorwurf herauszulesen war noch eine Abneigung zu ersehen. Sie ignorierte ihre Tochter ganz einfach auf sachliche Art und gab nie eine Erklärung dafür ab. Das Fräulein litt maßlos unter dieser plötzlichen und ohne Erklärung errichteten Distanz, wagte aber nicht, nachzufragen. Das war nicht üblich und hätte die Sache vielleicht nur verschlimmert. Es schien, als ob die Mutter, unter dem Druck von einhergehendem Abschiedsschmerz und drohender Vereinsamung, ein posthumes Treuegelöbnis für den toten Gatten einzulösen gedachte, innerhalb dessen eine weiterhin aufrechterhaltene liebevolle Nähe und mütterliche Zuwendung zur Tochter wie Verrat wirken musste. Dieser Befund, der dem Fräulein von einem mit der Familie gut befreundeten Pastor zuging, den es in ihrer Verzweiflung um Rat angegangen war, sollte auf den Tag genau zwei Monate später seine Bestätigung durch den plötzlichen und durch keinerlei Krankheit oder auch nur Unwohlsein angekündigten Tod der Mutter erfahren: Sie folgte einfach, in zeitlicher Nähe und wie selbstbestimmt, ihrem Mann.
     
    An dem Abend, als über die Volksempfänger die Nachricht vom Überschreiten der deutschen Reichsgrenze durch die Rote Armee bekanntgegeben wurde, verbunden mit dem wahnwitzigen Befehl an die Zivilbevölkerung, jeden feindlichen Soldaten sofort zu töten, blieb die Witwe des Rittmeis ters, ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit, jedoch in keinem Zusammenhang mit dieser Nachricht stehend, die sie, im Gegenteil, vollkommen gleichgültig und desinteressiert zur Kenntnis genommen hatte, nach dem Abendbrot sitzen, wandte sich ihrer Tochter, die gerade den Teller mit den Essensresten abtragen wollte, zu und hielt sie mit einem harten Griff am Handgelenk fest.
    Ich muss noch etwas klarstellen, begann sie, um mit eigenartig gedrechselten und sich windenden Worten weiterzureden: Ich muss noch etwas klarstellen, bevor plötzlich Eintretendes und im Voraus nicht Absehbares dieses verhindert. Du weißt, dass ich dich immer geliebt habe, ebenso wie dein Vater dich immer geliebt hat. Du bist hier aufgewachsen im bequemen Wohlstand und hast eine gute Erziehung und Bildung ganz im Sinne unserer Familientradition und der Tradition unseres preußischen Vaterlands genossen. Dass dein Bräutigam nicht mehr ist, ist einer höheren Fügung geschuldet und uns nicht anzurechnen. Wir, dein Vater und ich, haben für dein Gedeihen unser bestes in unseren Kräften Stehendes getan. Nun ist es Zeit, dir reinen Wein einzuschenken. Ich habe das deinem Vater versprochen und werde es nun einlösen.
    Ich habe meinem Mann drei Söhne geboren und ihn damit stolz und glücklich gemacht. Die von uns beiden ersehnte Tochter aber blieb uns versagt. Als meine gebärfähige Zeit um und ein Mädchen nicht geboren war, entschlossen wir uns zu einer Adoption. So kamst du, die du in einem Waisenhaus in Königsberg von deinen unbekannt gebliebenen Eltern ausgesetzt worden warst, in unser Haus. Du hast uns zu danken, und wir haben dir zu danken. Nun soll unsere Gemeinsamkeit aber beendet sein. Die Zeit, die ich noch zu leben habe, wird lange nicht mehr dauern, und ich möchte, wenn es so weit ist, drüben ohne jede irdische Bindung meinem gelieb ten Mann gegenübertreten können. Das letzte Band, das

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