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Mittelreich

Mittelreich

Titel: Mittelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Bierbichler , MITTELREICH
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hauptsächlich aus preußischen Landbesitzern bestand, die als Offiziere in der Wehrmacht gedient und sich zum Widerstand gegen den Führer zusammengefunden hatten, nachdem absehbar war, dass der Krieg im Osten nicht mehr gewonnen werden konnte, und die deshalb, nach einem Sieg der Bolschewisten auf dem Schlachtfeld, mit dem Verlust ihrer gesamten Besitztümer rechnen mussten und deren Plan es nun war, nach einem Attentat auf den Führer die Führung an sich zu reißen, eine Art Militärdiktatur nach korporatistischen Vorgaben zu errichten und so aus einer vielleicht gerade noch günstigen Position heraus mit den Bolschewisten in Verhandlungen zu treten, um auf diese Weise zu retten, was noch zu retten war, wobei dieses Attentat jedoch fehlschlug und die gesamte Verschwörung aufgedeckt und niedergeschlagen wurde – Verhaftungen und Hinrichtungen fanden im Schnellverfahren statt –, so dass auch der Rittmeister damit rechnen musste, einen unehrenhaften Tod durch den Strang zu erleiden, und sich deshalb mit seiner Dienstpistole schon einen Tag nach dem Scheitern des Attentats selbst zu richten suchte, wobei jedoch auch dieses Attentat auf sein eigenes Leben fehlschlug, weil der Rittmeister die Pistole im Moment des Abdrückens von der Schläfe aus nach hinten riss, um den bereits ausgelösten Schuss im letzten Augenblick noch einmal umzulenken und seine, wie er in diesem Augenblick meinte, zu schnelle Entscheidung zuerst doch noch einmal genau zu überdenken, sich dabei aber, weil die Eingebung zu spät kam, am Hinterkopf so schwer verletzte, dass wesentliche Teile seines Hirns zerstört wurden; er lebte noch einen Monat in geistiger Umnachtung in einem Heim für Gehirnkranke, wo er am 20 . August 1944 starb – ohne jemals erfahren zu haben, dass seine Verbindung zu den Verschwörern nie aufgedeckt wurde, da in seiner Akte, die die Geheime Staatspolizei über ihn angelegt hatte, nur immer von drei Kindern, drei Söhnen nämlich, die Rede war, und nicht auch noch von einer Tochter, und man deshalb nach einem anderen Offizier gleichen Namens suchte, was schließlich den glücklichen Umstand in sich barg, dass die Familie, als unverdächtig geltend, weiter ihr Gut bewohnen konnte ...
    ... nach diesem unnötigen Vorfall mit darauf folgendem Tod des Rittmeisters also bewohnten seine Frau und die Tochter weiterhin den großzügig ausgebauten und ausgestatteten mittleren Teil des Gutshauses, in dem von einer großen Eingangshalle aus eine breite Treppe nach oben in den Salon im ersten Stock führte und von da aus weiter eine Wendeltreppe in die fünf Schlafzimmer unter dem Dachboden, der wiederum durch eine schmale Stiege erreicht wurde und in den hinein, wie weiße Würfel in einen großen Speicher, noch zwei Zimmer für je ein Dienstmensch in besonderer Vertrauensstellung gebaut waren. Im Parterre, hinter der großen Eingangshalle, waren Küche und Speisekammern nebeneinander aufgereiht.
    Die meiste Zeit des Tages verbrachte das Fräulein in dieser nach Süden hin gelegenen Eingangshalle, weil durch die zwei großen, dreiflügeligen Fenster und die breite Oberlichte über dem Eingangstor fast den ganzen Tag über in opulenter Fülle das Tageslicht hereinfiel. Man saß dort wie in einem Wintergarten, und nur wenn es gar zu heiß war, stellte es sich einen Tisch und einen Stuhl auf die Terrasse in den Schatten einer großen Buche. Das Fräulein war jetzt beinahe fünfzig Jahre alt, liebte die Wärme und fror schnell, und deshalb trug es in diesen Jahren des Öfteren auch im Sommer schon, wenn es sich im Schatten dieses Baumes aufhielt, gerne eine Stola aus Kaschmirwolle um die Schultern.
    Des Fräuleins Mutter verbrachte die Tage und Abende fast ausschließlich im Salon. Sie hatte sich nach dem Tod ihres Mannes – wobei für sie der Tag, an dem der Schuss aus der Pistole des Rittmeisters seinen halbherzigen Weg zum Ziel genommen hatte, als Todestag galt – im Haus sozusagen segmentiert. Nach dem Frühstück, das auf ihre Anweisung hin bereits um fünf Uhr in der Früh eingenommen werden musste, rief sie alle Dienstpersonen in der Diele zusammen und verteilte die Aufgaben des Tages. Danach zog sie sich in den Salon zurück. Dort saß sie bis zum Abend und schaute reglos ins Gewesene. Hin und wieder stand sie auf, holte eine Devotionalie ihres verstorbenen Mannes, wie etwa seinen Gardesäbel oder seine Tabakspfeife aus Elfenbein, aber auch kleinere Gegenstände wie einen Opalring oder ein winziges, goldbeschichtetes

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