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Mittelreich

Mittelreich

Titel: Mittelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Bierbichler , MITTELREICH
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einem zugewanderten Historiker einer vorher nicht diskreditierten und im Nachkriegsgefüge nicht angezweifelten Lesart von Geschichte nach errechnet worden war, und dann für die Dauer der Festlichkeiten in Au in se umgetauft wurde, da hatte der Seewirt, so konnte man sagen, den ersten Teil seiner Lebensernte eingefahren: Sein Haus stand fest, und der Ruf des Hauses strahlte weit über den See und darüber hinaus. Berühmte Leute kehrten ein und bewohnten die Gästezimmer, der Stall stand voller Kühe mit prall gefüllten Eutern, die Geräteschuppen glänzten im Lack der neuesten Maschinen, und die Kinder waren herangewachsen und gut genug geraten für eine standesgemäße, höhere Schule. Als der Festzug, der vor dem Seewirtshaus Aufstellung genommen hatte und von acht Kutschen und einem hundertköpfigen, bunt und festlich in der Landestracht gekleideten bäuerlichen Fußvolk gebildet wurde, sich in Richtung Kirchgrub zum Festgottesdienst in Bewegung setzte, durch das Spalier Hunderter angereister Zuschauer hindurch, da fuhr des Seewirts frisch renovierter Landauer an zweiter Stelle hinter dem Wagen des Festkomitees mit dem Bürgermeister, dem pensionierten Historiker, einem berühmten, international bekannten Fotografen, dem Chefreporter des Lokalblatts und einem gerade Fuß fassenden Belletristen, die sich alle in den Wagen gequetscht hatten, um an eigener Bedeutung kein Gran preiszugeben. Im Wagen des Seewirts saß seine gesamte Familie, und vom Kutschbock herunter zügelte der Valentin die beiden über gebliebenen Pferde, die Fanny und den alten Bräundl. Ein heißer, wolkenloser Junitag war der Beitrag der Natur zu diesem einmaligen Ereignis und gab der gesamten Unternehmung den Segen des Göttlichen Gefallens.
    Es war gar nicht leicht gewesen, einen geeigneten Tag für dieses Jubiläum zu finden. Denn seit einigen Jahren war dem an Feiertagen nicht armen Juni noch ein zusätzlicher Feiertag beigemengt worden, ein Tag, der die auf dem Boden einer freiheitlichen Demokratie lebenden Menschen einmal im Jahr an die Willkür staatlicher Machtausübung im anderen Staat erinnern sollte: ein 17 . Juni. Das Festkomitee, das ein Jahr zuvor mit den Planungen des Geburtstagsfestes begonnen hatte, stand damals vor einer schwierigen Aufgabe.
    Ich habe aber den 12 . Juni als Gründungstag des Dorfes in meinen Berechnungen stehen, so hatte der Historiker damals dagegengehalten, als der Bürgermeister den 17 . Juni vorschlug, weil das ein Sonntag sei und man die Bauern nicht andauernd mit neuen Feiertagen von der Heuernte abhalten könne, wie er sagte, wo es doch schon so viele kirchliche Feiertage ausgerechnet in diesem Monat gäbe, der mitten in die Erntezeit falle. Ich möchte damit aber nichts gegen die Kirche gesagt haben, hängte er noch hinten dran und wandte sich zum Pfarrer hin, der direkt am Tischeck saß, um Bescheidenheit zu demonstrieren, und dazu freundlich lächelte und immer nickte.
    Jeder Feiertag ist ein Dank an Gott, antwortete der Pfarrer, und wir müssen der Mutter Kirche danken, dass sie uns immer wieder an der Hand nimmt und zu solchem Dank hinführt.
    Der 17 . Juni geht unmöglich, wendete sofort der Oberlehrer Harich ein, das ist der Tag der Deutschen Einheit. Was würde das für ein Licht auf unsere Gemeinde werfen, wenn wir diesen für das Land so bedeutenden Tag mit einer rein dörflichen Angelegenheit sozusagen provinzialisieren würden.
    Kruzifix, fluchte der Bürgermeister, den hab ich schon wieder ganz vergessen, diesen Scheißeinheitstag.
     
    Da fiel dem berühmten Fotografen auf, dass ein unbedeutender Reporter des Lokalblatts, der auch bei der geheimen Sitzung im Nebenzimmer des Seewirtshauses anwesend war, obwohl niemand ihn eingeladen hatte, gerade nach dieser Bemerkung des Bürgermeisters eifrig Notizen machte, und sprach ihn daraufhin direkt an und sagte, dass hier gemachte Äußerungen nicht für die Öffentlichkeit bestimmt seien und der Herr Reporter, wenn diese Berufsbezeichnung auch etwas zu hoch angesetzt sei, bitte umgehend den Raum verlassen möge, weil ansonsten das Hausrecht in Anspruch genommen werden müsse.
    So.
    Daraufhin klaubte der Reporter seine Sachen zusammen, es waren dies ein Bleistift und ein Spiralblock, stand auf und ging zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um, sah den Fotografen direkt an und sagte: Herr Hubermann, kommen Sie doch in den nächsten Tagen mal bei mir vorbei, dann erzähle ich Ihnen was von Ihrer Frau. Und ist unmittelbar danach, ohne jede

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