Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mittelreich

Mittelreich

Titel: Mittelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Bierbichler , MITTELREICH
Vom Netzwerk:
weitere Erklärung, gegangen.
    Das löste ein betretenes Schweigen aus im Raum. Der Pfarrer hatte mit dem Nicken aufgehört, lächelte aber weiter und versuchte, dem tieferen Sinn hinter der Bemerkung des Reporters auf die Spur zu kommen. Der Historiker saß über sein Diagramm gebeugt, auf der Suche nach einem Ausweich-Geburtstagstag. Der Lehrer tat so, als hätte er nichts gehört, und erläuterte dem Bürgermeister flüsternd die Ursachen des 17 . Juni. Der aber hörte ihm gar nicht zu, sondern schaute unverschämt neugierig den Hubermann an, ob der jetzt gleich was sagen würde. Der Hubermann aber schaute starr zum Fenster auf den See hinaus, obwohl der gar nicht mehr zu sehen war, denn die Sitzung des Komitees war für den Abend anberaumt worden, und es war erst Frühjahr, die Tage noch nicht lang, und eine Sommerzeit gab es auch noch nicht, die war erst angedacht. Dem Hubermann wurden beim Blick in die Dunkelheit ein paar Ungereimtheiten in Bezug auf seine Frau während der letzten Monate etwas eingängiger, und da wollte er sich erst zu klaren und schlag kräftigen Worten durchgedacht haben, bevor er sie in diesem Kreis zur Sprache bringen würde.
    Der Hubermann war Starfotograf einer neuen Art von Zeitung, die sich Illustrierte nannte und seit ein paar Jahren auf dem Markt war und immer höhere Auflagen erzielte. In ihr wurde von Leuten berichtet, die berühmt geworden waren, sei es durch ihren Beruf als Politiker, Sportler oder Filmschauspieler oder durch ihre Herkunft als Angehörige der Aristokratie oder aber auch durch interessante Morde oder großangelegte Betrügereien. Den Berichten waren immer großformatige Fotos beigefügt, auf denen die Betroffenen meist in privaten Zusammenhängen oder zu gesellschaftlichen Anlässen abgebildet waren. Die Blätter nahmen in ihrer Berichterstattung selten ein Blatt vor den Mund, und ebenso wenig taten das die Reporter, die diese Berichte schrieben oder bebilderten. Deshalb sagte der Hubermann auch nach einigem Nachdenken folgerichtig: Sieh mal einer an! Diese alte Fotze! Ich hab es mir doch gleich gedacht, dass die irgendwo herumfickt, so wie die die letzten Wochen ausgesehen und gerochen hat: wie eine läufige Afghanendogge. Mir ist das ja scheißegal. Ich will nichts mehr von ihr, diesem vertrockneten Stück Scheiße. Aber dem Bruck (so hieß der Reporter), dem häng ich eine üble Nachrede an. Der soll bluten!
    Der Seewirt, der vorher etwas feige den Raum verlassen hatte, um schnell mal, wie er sagte, in der Küche auf die Uhr zu schauen, wie spät es schon sei, hatte deswegen von der Hubermann’schen Verbalattacke gegen die eigene Frau und den Reporter nichts mitbekommen, und so muss der Chronist sich diesbezüglich wieder einmal auf die Aussagen des Viktor verlassen, der an diesem Frühlingsabend auf der Straßenseite des Hauses, direkt unterhalb des halb geöffneten Gaststubenfensters, auf der Steintreppe saß und dem Ge spräch im Innern lauschte, um, wie es im Laufe der jüngeren Zeit seine selbstgestellte Aufgabe geworden war, immer in allen privaten und öffentlichen Belangen des Dorfes auf dem Laufenden zu sein. Auch hätte dem Seewirt eine Zeugenschaft bei diesen Worten wenig eingebracht, denn wie hätte er von diesem speziellen Sprachgebrauch des Hubermann seiner Frau und den beiden Schwestern berichten sollen? Hätte er die Worte vom Hubermann gerade so weitergeben sollen, wie sie gefallen waren? Damit wäre er gewiss nur auf begriffliche Unkenntnis gestoßen, wenn nicht gar auf Entrüstung bei den Schwestern, denn das mit der trockenen Ausscheidung hätten sie natürlich schon verstanden, und das mit der Afghanendogge auch, und die Frau des Hubermann war bei ihnen sehr beliebt und galt als feine Dame. Sie züchtete seltene Rosen, und weil das die Brieftaube auch tat, stand man in ständigem Kontakt zueinander. Üble Nachrede, selbst wenn sie vom eigenen Mann kam und ihr Inhalt teilweise verschlossen blieb, wurde da nicht geduldet.
    Am andern Tag stand dann im Seestadtboten , der als regionale Unterzeitung der überregionalen Hauptstadtzeitung beigelegt war: Berühmter Fotograf einer bekannten Illustrierten stützt konsenszersetzende Äußerungen eines unbedeutenden Dorfbürgermeisters. Unter dem Artikel, der noch einige Details enthielt, stand der Name des Verfassers: Detlev Bruck.
    Daraufhin rief der Bürgermeister in seiner Funktion als Kreisvorsitzender der im Land regierenden christlichen Partei bei der Redaktion an und beschwerte sich mit

Weitere Kostenlose Bücher