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Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition)

Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition)

Titel: Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margarita Kinstner
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Perserteppichen. Dabei weiß sie nicht einmal, ob er wirklich berühmt geworden ist, so wie sie sich das immer vorgestellt hat. Vielleicht hat er ja am Kirow-Theater gespielt. Oder gar in den großen Musiksälen, in New York, in London und Paris! Vielleicht sogar in Wien. Vielleicht ist er einmal hier gewesen, nur wenige Meter von ihr entfernt, hat seine Finger über die Tasten gleiten lassen, Rachmaninow gespielt und dabei ein wenig an sie gedacht.
    Hedi knipst die Nachttischlampe an. Was ich für einen Blödsinn denk in letzter Zeit! Sie greift nach dem Buch auf dem Nachtkästchen und schlägt es auf. Der Mord auf der Gartenparty zieht ihre Aufmerksamkeit sofort zwischen die Buchstabenzeilen. Nach einer halben Stunde nimmt sie die Brillen ab, reibt sich die Augen und legt das Buch zur Seite. Sie schaltet die Nachttischlampe aus und kuschelt sich mit einem behaglichen Seufzen unter die Decke.

21  Ein einziger Satz, und schon gilt nichts mehr. Die Fäden spannen sich und reißen, danach ist nichts mehr wie zuvor.
    Maries Finger fahren über das Tischtuch und glätten nicht vorhandene Falten. Jakob, der ihr gegenübersitzt und das Weinglas zwischen Zeigefinger und Daumen dreht, sieht sie an, sieht auf ihr Haar, ihre Sommersprossen und sagt: »Was willst du mir damit sagen?« Über den Rand seines Glases krabbelt eine Spinne. Marie antwortet nicht, hält stattdessen den Blick auf das Insekt gerichtet, während ihr Daumennagel Muster ins Tischtuch zeichnet. »Ich meine es so, wie ich es gesagt habe. Dass ich mir nicht mehr sicher bin, ob wir zusammenpassen.«
    Jakob zerdrückt die Spinne mit dem Zeigefinger, wischt den Rest des Körpers an der Hose ab. »Wie kommst du auf einmal auf die Idee?«
    »Ich hab das Gefühl, dass wir uns nichts mehr zu sagen haben.«
    »Aber wir reden doch«, widerspricht er ihr. »Wir unterhalten uns jeden Tag miteinander.«
    »Das heißt aber noch lange nicht, dass wir uns auch etwas zu sagen haben«, sagt sie, während ihr Daumennagel weiterhin Kreise im Tischtuch zieht.
    Und wenn sie mit Joe zusammengeblieben wäre? Wenn es geklappt hätte mit ihnen, wenn es so geblieben wäre wie am Anfang, hätten sie einander heute noch etwas zu sagen? Aber Joe hat doch immer mit ihr gesprochen, hat immer etwas zu erzählen gewusst, egal was, und wenn es einfach nur Märchen von Marillenmädchen waren, die er sich für sie ausdachte.
    Jakob stellt sich ans Fenster, die Hände in den Backentaschen seiner Jeans vergraben. Hinter den Scheiben presst die Dunkelheit ihren fetten Leib gegen das Glas, und fast hat er Angst, als könne die Scheibe bersten und die Dunkelheit hereinbrechen, ihn verschlingen.
    »Nenn mir nur einen Grund«, sagt er und setzt sich wieder an den Tisch und klaubt Brösel vom Tischtuch.
    »Es gibt keinen Grund«, sagt sie.
    Als hätte sich eine unsichtbare Trennwand zwischen sie geschoben. Bis vor einer halben Minute hat er noch gedacht, sie wären glücklich miteinander, und jetzt schleudert sie ihm diesen Satz entgegen. Hat er sie falsch eingeschätzt? Stört es sie vielleicht doch, dass er so viel Zeit mit dem Projekt verbringt?
    »Vielleicht sollten wir raus aus Wien«, sagt er, »ein Wochenende nur wir zwei.«
    Marie steht auf, sammelt Teller und Gläser ein und geht in die Küche. Schlichtet das Geschirr in den Geschirrspüler, legt ein Tab in die Klappe und dreht am Rädchen. Wasser gurgelt und ergießt sich über das Weinglas, auf dem eben noch eine Spinne gekrabbelt ist. »Mir geht das alles zu schnell«, sagt sie, als Jakob sich neben sie stellt. »Wir leben wie ein altes Ehepaar.«
    Sie wäscht sich die Hände an der Spüle und trocknet sie im Geschirrtuch ab. Dann geht sie zu Jakob und legt ihre Arme um seinen Körper.
    Wieso umarmt sie ihn jetzt? Frauen, geht es ihm durch den Kopf. Sein Arbeitskollege Bernd würde es so ausdrücken: Frauen, vergiss es, die wirst du nie durchschauen.
    Seine Finger tasten durch ihr dunkles Haar, irgendwo unter ihrer Schädeldecke ist etwas, von dem er nichts weiß. So einen Satz, den sagt man doch nicht einfach so, was meint sie damit, dass sie einander nichts mehr zu sagen haben?
    Und was, wenn er gar nichts zu bedeuten hat, wenn sie einfach nur traurig ist, einen schlechten Tag hat, so wie Sonja immer ihre schlechten Tage gehabt hat? Und es würde ihn ja nicht einmal wundern, sie fährt zu oft nach Graz, es tut ihr nicht gut, ständig am Bett des Vaters zu sitzen. Vielleicht sollte er sie begleiten, sie nicht immer allein fahren lassen.

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