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Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition)

Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition)

Titel: Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margarita Kinstner
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und abwarten.«
    »Er schläft also schon?«
    »Ja.«
    Der Mann hält Marie das Feuerzeug hin und stützt sich dann wieder am Fensterbrett ab.
    »Was denkst du jetzt von mir?« Marie dreht die Zigarette zwischen den Fingern, sieht zu, wie Papier und Tabak von der Glut aufgefressen werden.
    »Das mit der Einsamkeit, das musst du mit dir ganz allein ausmachen«, sagt der Mann. Im Hintergrund hört Marie Geschirrklappern und ein Seufzen. Jetzt ist die Staubtuchfrau mit dem Abwasch fertig, denkt sie, jetzt wird er bald das Fenster schließen und zu ihr gehen. Vielleicht werden sie sich noch ein wenig vor den Fernseher setzen, sie wird in einer Illustrierten blättern und ihm werden langsam die Augen zufallen.
    »Zahlt es sich eigentlich aus?«, fragt sie und spielt mit dem Feuerzeug, dreht es zwischen ihren Fingern, lässt die Flamme immer wieder hochlodern und die Klappe wieder zuschnappen.
    »Ich kann nicht allein sein. Vielleicht ist das der Grund, warum ich sie noch immer mag«, sagt er.
    »Jakob denkt, er würde mich vernachlässigen.«
    »Was soll er sonst denken?«
    Marie zieht an der Zigarette und bläst Rauch aus.
    »Bist du mit deiner Frau schon einmal durch den Regen gelaufen?«
    Der Mann lacht. »Ich werde nicht gerne nass.«
    »Ich schon.«
    »Dann solltest du unter dem Dach hervorkommen«, sagt er. Dann schließt er das Fenster und zieht die Vorhänge zu.
    Marie drückt auf den Drehmechanismus des Aschenbechers und schiebt den Sessel zurück. Ihre Füße sind kalt.
    Im Schlafzimmer ist es dunkel. Seit Jakob bei ihr schläft, muss sie die Jalousien hinunterlassen. Dabei mag sie es nicht, wenn sie beim ersten Aufwachen nicht am Licht erkennen kann, wie spät es ist. Seit Jakob bei ihr schläft, wird sie immer erst vom Weckerläuten wach.
    Sie zieht die Knie an die Brust und schiebt den Polster in die Nackenbeuge. Sie wird ihm sagen müssen, dass sie es nicht will, dass er jede Nacht bei ihr schläft. Dass es vielleicht besser wäre, wenn sie einander nicht so oft sehen. Nur zweimal die Woche, dafür intensiver. Vielleicht können sie dann wieder miteinander reden. Vielleicht ist es aber auch nur ein Aufschub. Vielleicht hat sie einfach noch nicht den Mut zu gehen, weil die Angst, dass es nach Jakob niemanden mehr geben wird, größer ist als ihr Leiden mit ihm.

2  An einem Freitagnachmittag Anfang Mai spaziert Pavel Palicini die Prater Hauptallee entlang Richtung Lusthaus. Er ist mit den Entwicklungen sehr zufrieden, alles läuft nach Plan, und der Plan ist ein sehr genauer. Einen ganzen Monat lang ist er darüber gesessen, hat herumgefeilt, immer wieder nachgerechnet und ausgebessert. Denn so einen Zeitplan, den muss man erst einmal zusammenbringen! Erste Wiener Hochschaubahn, Spiegelkabinett, Geisterschloss, Grottenbahn, Blumenrad, Bogenschießen, Donaujump. Dann das Riesenrad, und das alles in nur zwei Stunden! Um fünf Uhr dann schließlich die Testamentseröffnung im Kasperlhaus.
    »Nix da, Finger weg!«, hat Gerd gekichert, als Palicini ihm das Manuskript aus der Hand hat reißen wollen. »Da bin ich eigensinnig, vor einer Premiere tratsch ich nicht! Das geht nur den Max und mich was an. Aber wir sind schon eifrig dran, das kannst mir glauben.«
    Pavel Palicini ist zur Vorstellung geblieben. Ist zwischen zweiundvierzig Kindern gesessen und hat mitgelacht. »Seid ihr alle da?«, hat der Kasperl gerufen, und Palicini hat am lautesten »Jaaa!« geschrien, sodass sich die Mütter nach ihm umgedreht haben: Schau sich einer den an, der hat ja nicht einmal ein Kind dabei!
    »Das kannst du doch nicht vergleichen«, hat Gerd nach der Vorstellung zu Palicini gesagt. »Das war doch bloß Kinderkram, da ist der Kasperl immer lieb und nett. Nein, nein, Palicini, der echte Kasperl, das war ein ganz ein anderer. Der hat gespottet und gerauft, was das Zeug hält, ein richtiger Anarchist war das! Wirst schon sehen, am fünfzehnten Juli ist er wieder in seinem Element. Und den Calafati haben wir auch ausgegraben, endlich wieder einmal eine gescheite Besetzung und nicht nur die albernen Boing- und Chrüsimüsi-Puppen.«
    »Aber das G’spensterl«, hat Palicini gesagt. »Das ist doch so lieb!«
    »Das G’spensterl darfst von mir aus haben. Ui, da fällt mir sogar was ein! Aber mehr verrat ich dir nicht.«
    Max ist die ganze Zeit über daneben gestanden und hat der vollbusigen Hexe Tussifussi über den Holzkopf gestrichen. Fesch sieht er aus, der Max, hat sich Palicini gedacht. Aber irgendwann wird er dem Gerd das Herz

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