Mitten im Gefühl: Roman (German Edition)
»Was kann ich für Sie tun?«
»Hallo, meine Liebe. Ich habe laute Geräusche gehört. Ist alles in Ordnung?« Elsie war 83 und ziemlich schlecht zu Fuß, aber mit ihrem Gehör war alles in Butter. Sie stützte sich schwer auf ihren Bruyère-Gehstock und sah sich im leeren Wohnzimmer um. »Ganz allein? Ich wollte eigentlich Maggie sprechen. Ich habe hier etwas zu ihrem Geburtstag.«
»Wie schade, Maggie ist nicht da.« Tara, die Geschenke aller Art vergötterte, betrachtete erwartungsvoll die Supermarkttüte in Elsies knorriger Hand. »Wie süß von Ihnen. Möchten Sie es ihr morgen geben oder soll ich es an mich nehmen und ihr ausrichten, dass Sie vorbeigeschaut haben?«
»Nun, eigentlich ist es ein Doppelgeschenk«, vertraute Elsie ihr an. »Ich will mich für all die Dinge bedanken, die Maggie für mich tut. Sie hat mir letzthin allerhand Bücher mitgebracht. So ein nettes Mädchen. Diese reizenden Sachen von Barbara Cartland und nichts von diesem schmutzigen Zeugs, das man dieser Tage überall bekommt, diese so genannten modernen Frauenbücher – nein, nichts geht über Barbara Cartland … «
»Soll ich sie nehmen?«, unterbrach Tara und streckte die Hände nach der Tüte aus. Wenn Elsie erst mal anfing, konnte sie wochenlang plappern.
»Das erledige ich besser selbst, meine Liebe. Ich trage sie in die Küche. Sie tropft ein wenig.« Elsie hielt die Tüte hoch und zeigte Tara die Unterseite. »Ich weiß, sie machen die Löcher hinein, damit spielende Kleinkinder sich nicht selbst ersticken können, aber es ist wirklich ärgerlich, wenn du mich fragst.«
»Schon gut, ich bin vorsichtig!« Tara wagte einen tollkühnen Vorstoß nach der Tüte, aber die alte Frau war schneller.
»Nein, meine Liebe, bleib lieber auf Abstand. Wir wollen doch nicht, dass Blut auf deine hübsche, weiße Jeans kommt.«
Tara sank der Mut. Die alte Frau mochte vehement gegen Pornographie eintreten, aber gelegentlicher Gewalt war sie nicht abgeneigt. Elsie besaß ein Hackebeil und schreckte nicht davor zurück, es auch zu benutzen. »Es ist doch nicht eins von Ihren …?«
»Doch, ist es.« Elsie strahlte vor Stolz und schritt mit Hilfe ihres Gehstocks mühsam durch das Wohnzimmer. Mit dem Ellbogen schob sie die Küchentür auf und entdeckte Dominic, der so tat, als bereite er Tee vor und dabei lautstark mit den Tassen herumfuhrwerkte. »Hallo, Sie müssen Taras junger Bursche sein. Mir war doch so, als ob ich eine Männerstimme gehört hätte, als ich vor der Tür stand.«
In der Küche hatte Dominic sich nicht verstecken können und die Hintertür war verschlossen. Also saß er in der Falle. Wenigstens hatte die Alte nicht die leiseste Ahnung, wer er war. Und sie schien harmlos.
»Elsie hat ein Geschenk für Maggie vorbeigebracht.« Tara schnitt hinter dem Rücken der Nachbarin eine Grimasse.
»Ein besonderer Leckerbissen. Sie hat es verdient.« Elsie schob Dominics Tasse aus dem Weg und warf ihre Tüte schwungvoll auf das Abtropfbrett.
»Madge«, verkündete Elsie und strahlte Dominic an.
»Guten Abend, Madge. Schön, Sie kennen zu lernen.« Verwirrt versuchte Dominic, ihr die faltige Hand zu schütteln.
O Gott, dachte Tara. Madge .
»Ich doch nicht.« Elsie lachte gackernd. »Ich bin Elsie. Das hier ist Madge.« Sie griff in die Tüte und zog ein totes Huhn heraus.
Tot und ohne Kopf.
Dominic schreckte entsetzt zurück. »Mein Gott!«
»Sie ist eine Schönheit. Eine meiner Lieblinge.« Elsie strich liebevoll das glänzende, braune Gefieder glatt. Sie sah Dominics totenbleiches Gesicht prüfend an und fragte scharf: »Sind Sie etwa Vegetarier?«
»N-nein.«
»Dann schauen Sie nicht so angewidert aus der Wäsche. Madge hatte ein gutes Leben und einen schnellen Tod. Mehr kann man nicht verlangen. Aber nachdem ich zugeschlagen hatte, hat sie noch ordentlich gekämpft.« Elsie kicherte wie eine Verrückte und stieß Dominic ausgelassen an. »Ist quer durch meine Küche geflattert, als kopfloses Hühnchen!«
»Elsie macht nur Witze«, warf Tara rasch ein. »Sie meint es nicht so.«
»Schon gut.« Dominic, der aussah, als wolle er sich gleich übergeben, klammerte sich an der Spüle fest. Tara fühlte sich selbst nicht sehr wohl. Sie hielt die blutige Tüte auf, damit Elsie Madge mit dem Kopf voraus hineinstopfen konnte.
Na ja, mit dem Hals voraus.
»Sie wird einen herrlichen Sonntagsbraten abgeben«, meinte Elsie stolz. »Reichlich Füllung, das ist das Geheimnis, und man muss sie auf dem Rücken liegen lassen –
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