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Mitten in Amerika

Mitten in Amerika

Titel: Mitten in Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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Maultiere von meinem Granddeddy zu holen. Sie hat es nicht gefunden, und dann ist mir eingefallen, daß es vielleicht in dem niedrigen Verschlag über der Werkstatt sein könnte, und da war es auch. Und so haben wir jetzt versucht, es auszulegen, wie es in etwa angeschirrt gewesen wäre. Das Team von zehn Maultieren müssen Sie sich dazu vorstellen.«
    Kein Wunder, dachte Bob, daß die Haushälterin ihn so böse angefunkelt hatte, wenn sie den heißen Vormittag auf Händen und Knien im Backofen eines Verschlags damit zugebracht hatte, ein steifes und schmutziges, hundert Jahre altes Maultiergeschirr zusammenzusuchen. Er heuchelte Interesse an dem Geschirr, hielt sich aber vorsichtig auf Distanz, als eine flinke Spinne unter einer Schnalle hervorkroch und über den braunen Teppich flitzte, bevor sie unter Regalen mit Pferdefigurinen verschwand. Vergebens versuchte er das Gespräch von Maultiergespannen und Maultiergeschirren auf Ranchbesitz, Schweinemästereien und die Freuden von Woolybucket zu lenken, denn Tater Crouch schwelgte in vergangenen Zeiten und war davon nicht abzubringen. Das einzige, was Bob tun konnte, war, ihn von Maultieren auf Pferde zu lenken und von Pferden auf Mr. Skieret, den Feind des Stacheldrahts.
    »Das war natürlich vor meiner Zeit«, sagte Tater Crouch, »aber die Geschichten kannte jeder. Noch und noch. Abner Skieret und Blowy Cluck. Was für ein Paar! Kennen Sie die Geschichte von Blowys Pferd und der Lokomotive?«
    »Nein«, sagte Bob verzweifelt und fragte sich, wie er dem Gespräch eine andere Wendung geben sollte.
    »Eine bekannte Geschichte. Blowy hatte sein eigenes Pferd, Old Razorback, das Eisenbahnen nicht ausstehen konnte, egal in welcher Form oder Größe. Wenn ein Zug in der Nähe war, wurde das Tier sprunghaft und unberechenbar. Es haßte dieDinger. Na ja, vernarrt war damals sicher kein Pferd in die Eisenbahn, aber die meisten drehten nicht gleich komplett durch, wenn eine schnaufend am Horizont auftauchte. Aber Old Razorback war dann nicht mehr zu halten. Eines Tages ritt also Blowy über die Prärie, weit, weit in die Pampa hinaus. Er war ganz allein, und Sie wissen ja, Mr. Nickel, wie weit Texas sich hier erstreckt, so daß es wirklich nichts gibt als die Pampa. Tja, unser Blowy fängt an, sich bißchen zu langweilen mit nichts als Gras und Himmel und den Ohren von Old Razorback, und so kommt er auf die Idee, für ein bißchen Abwechslung zu sorgen. Und zwar ausgerechnet damit, daß er das Geräusch einer Lokomotive nachmacht, die weit weg pfeift, huuu-huu ! Old Razorback wird steif wie ein Brett. Na ja, das wäre wohl nicht weiter schlimm gewesen, aber Blowy war das noch nicht genug, er mußte es noch mal machen, diesmal ein bißchen lauter, als käme der Zug mit vierzig Meilen in der Stunde auf sie zu. Tja, mein Lieber, das war zuviel des Guten. Old Razorback sprang mit allen vieren in die Luft, machte einen Purzelbaum, schmiß die Lokomotive auf den Boden und hielt sich nicht groß damit auf, abzuwarten, ob sie noch Dampf hatte. Das Pferd traf völlig zerschunden auf der Ranch ein, und alle dachten, daß Blowy mindestens mausetot sein müßte. Ein paar von ihnen ritten los, um die Leiche zu bergen, und siehe da, wem begegnen sie? Der Lokomotive, die auf zwei Rädern mit Blasen dahinschnauft und Flüche flucht, wie man sie in Texas noch nie gehört hatte.
    Herrje, so redselig wollte ich gar nicht sein«, sagte er. »Zurück zu den Frachtwagen. Weil ich wußte, daß Sie sich dafür interessieren, habe ich meinen alten Kumpel Almond Yuta angerufen, der mit dem Panhandle Plains Museum in Canyon zu tun hat. Er weiß eine Menge über diese Wagen. Er sammelt die verdammten Dinger. Wissen Sie, was komisch ist? Er hat mir erzählt, daß es keinen einzigen komplett erhaltenen Frachtzug aus dieser Zeit gibt, keinen einzigen. Ich habe ihm gesagt, daßes in Guymon einen großen alten Studebaker-Frachtwagen gibt, aber er hat mich bloß angeraunzt und gesagt, der wäre aus Einzelteilen zusammengestückelt, Reste vom Fahrwerk und ein paar der Originalräder, aber die echten alten Wagen, die gibt es nicht mehr. Kein einziger hat überlebt, obwohl es Tausende gewesen sein müssen, Tausende, die dieses Land durchquert haben. Diese Wagen, die haben die Vereinigten Staaten geschaffen. Die großen Händler waren Russell, Majors und Waddell – sechzehntausend Ochsengespanne, fünfzehnhundert Angestellte, Viehtreiber und Maultiertreiber –, und sie hatten Endstationen in St. Louis, Nebraska

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