Mitten in der großen Krise. Ein »New Deal« für Europa (German Edition)
Arbeitszeit zugunsten von Ersatzarbeitskräften zu senken.
Ausweitung der Gleitpension.
Alle auf eine Verkürzung und Flexibilisierung der Lebensarbeitszeit abzielenden Modelle sind als Optionen zu konzipieren, ihre Inanspruchnahme erfolgt grundsätzlich auf freiwilliger Basis. Ziel ist es ja nur, das durchschnittliche Arbeitsvolumen (in Lebensarbeitsstunden) pro ArbeitnehmerIn geringfügig zu senken (um ein bis zwei Prozent pro Jahr, je nach der langfristigen Entwicklung von Produktion und Produktivität), und dazu reicht es, wenn relativ wenige Menschen das eine oder andere Arbeitzeitmodell in Anspruch nehmen (dies ist ein fundamentaler Unterschied zu einer generellen Verkürzung der Wochenarbeitszeit).
Abschließend eine grundsätzliche Anmerkung: Maßnahmen für eine langfristige und flexible Verkürzung der Lebensarbeitszeit in den Industrieländern basieren auf der Einsicht, dass Wirtschaften kein Selbstzweck ist, sondern darauf abzielen sollte, die Bedingungen für ein »gut Leben« zu verbessern. Je höher Einkommen und Wohlstand sind, desto weniger wird dies durch noch mehr Konsum gelingen, eher durch mehr Genuss von freier Zeit zwecks individueller Entfaltung und Pflege der Beziehungen zu anderen Menschen. Dieser Gedanke ist ein wesentliches Element des gesellschaftspolitischen Fundaments von Keynes’ Theorien. 21 )
15.5.2. Arbeitszeitmodelle für Konjunktureinbrüche: Kurzarbeit statt Arbeitslosigkeit
Deutschland wurde von der Krise besonders massiv getroffen, seine Gesamtproduktion sank 2009 wesentlich stärker als im EU -Durchschnitt. Dennoch ist die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland viel schwächer gestiegen als in den meisten anderen EU -Ländern. Für diesen Erfolg war die im Rahmen des Konjunkturpakets II beschlossene Förderung der Kurzarbeit bestimmend.
Hauptgrund für diesen Unterschied: Für Unternehmer in Deutschland ist Kurzarbeit attraktiver als in anderen Ländern wie Österreich, nicht zuletzt durch neue Maßnahmen im deutschen Konjunkturpaket II: De facto bezahlt der Unternehmer nur mehr Lohnkosten im Ausmaß der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit. Die Bundesagentur für Arbeit ( BA ) schießt das Kurzarbeitergeld zu, sodass ein Kurzarbeiter etwa bei einer auf die Hälfte reduzierten Arbeitszeit etwa 85 Prozent seines normalen Nettogehalts bekommt.
Kürzlich hat der Deutsche Bundestag beschlossen, die maximale Dauer von Kurzarbeit auf 24 Monate zu strecken und die Gültigkeit des gesamten Modells bis 2012 zu verlängern.
Der Erfolg des deutschen Modells legt nahe, EU -weit folgendes großes Ziel anzustreben, und zwar nicht nur für die gegenwärtige Krise, sondern auch für die Zukunft: Die durch Konjunktureinbrüche erzwungene Verringerung des gesamten Arbeitsvolumens (Gesamtstunden) wird durch Verkürzung der effektiven Arbeitszeit bewältigt und nicht durch eine Aufspaltung der Gesellschaft in Beschäftigte und Arbeitslose. Dafür sprechen ökonomische, soziale und politische Gründe:
Die Qualifikationen der Arbeitskräfte bleiben erhalten.
Die Anpassung der Produktionsabläufe durch Arbeitszeitverkürzung ist zumeist leichter zu bewältigen als durch Verringerung des Personalstands.
Die Corporate Identity in den Unternehmen wird gestärkt.
Im Gegensatz zu einer generellen Arbeitszeitverkürzung ist Kurzarbeit auf die unterschiedliche Auftragslage nach Betrieben abgestimmt.
Die Konsumnachfrage wird stabilisiert, nicht zuletzt, weil Angst gemindert und Zuversicht gestärkt wird.
Das gemeinsame Interesse von Arbeitnehmern und Unternehmern an einer solchen Bewältigung der Krise, in der soziale Sicherheit und ökonomische Effizienz erhalten bleiben, wird ins Zentrum gerückt.
Um das »große Ziel« so weit wie möglich zu verwirklichen, müsste die EU -Kommission den einzelnen Mitgliedländern empfehlen, Kurzarbeitsmodelle ( KAM ) nach deutschem Vorbild und damit entsprechend folgender Leitlinien zu implementieren:
Kurzarbeit soll für den Unternehmer im Fall eines massiven Konjunktureinbruchs attraktiver sein als Kündigung (was ein massiver Einbruch ist, wäre zu definieren, etwa ein wahrscheinlicher Rückgang des BIP um mehr als zwei Prozent über zumindest zwei Quartale – damit die Politik frühzeitig/antizipativ auf einen Wirtschaftseinbruch reagieren kann, bestimmt sie den Zeitpunkt, ab wann die Kurzarbeitsregelung gilt).
Die Unternehmer bezahlen nur die tatsächlich geleistete Arbeitszeit, es gibt keine Behaltepflicht für die Zeit nach Auslaufen der
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