Mitten in der Stadt - Borrmann, M: Mitten in der Stadt
das Geld verdienen.“ Dann geht er ins Haus.
Als die Freundin mit ihrer Familie aufbricht, bleibt sie mit Sven und Julia noch im Garten, zögert die Begegnung mit ihm hinaus. Die Schatten werden lang, den Kindern wird kalt.
Er sitzt am Küchentisch vor einer Flasche Wein, eine weitere steht leer auf dem Fußboden.
„Ich dachte schon, du wolltest draußen übernachten“, sagt er bissig, steht auf und schlägt mit dem Handrücken zu. Sie taumelt gegen den Küchenschrank.
Die Kinder fangen an zu schreien. Er packt die beiden an den Armen, schlägt ihnen ins Gesicht, zerrt sie ins Badezimmer und schließt ab.
„Martin also!“, zischt er, und dann prügelt und tritt er auf sie ein, bis sie sich nicht mehr rührt. In weiter Ferne hört sie, wie er die Haustür hinter sich zuschlägt. Dann wird es dunkel.
Was sie als Erstes wieder wahrnimmt, ist das Weinen der Kinder im Bad. Dann erst spürt sie die Schmerzen im ganzen Körper. Sie taumelt in den Flur, öffnet den Kindern und sieht in den Badezimmerspiegel. Sie wäscht sich das Blut ab und tröstet die Kleinen. Sie humpelt in die Küche, macht ihnen Abendessen und sagt immer wieder: nicht weinen, ihr müsst nicht weinen. Papa hat das nicht böse gemeint. Er wollte euch nicht hauen. Alles wird wieder gut. Sie bringt sie zu Bett und setzt sich mit dem Telefon ins Wohnzimmer. Sie zögert lange, ehe sie Nicoles Nummer wählt.
Sie packt ein paar Sachen ein, weckt Sven und Julia und zieht sie an. Wenige Minuten später ist Martin da.
Anzeigen soll sie ihn, anzeigen und zum Arzt gehen. Aber das kann sie doch nicht tun. Er ist doch ihr Mann. Der Vater ihrer Kinder. Sie hätte ihm das auch sagen müssen, das mit ihrer Freundschaft, dann wäre das nicht passiert. Und dass sie jetzt fortgelaufen ist, macht es nicht besser.
Im Rückblick meint sie, dass in dieser Nacht, in der sie stundenlang mit den Freunden spricht, alles begonnen hat. Dass in dieser Nacht alles zu Ende war. Eine Schwelle, die sie nicht wahrgenommen hat, über die sie hinweggetaumelt ist. Benommen von der Wucht der Schläge stolpert sie durch die nächsten Tage, übergibt sich betäubt in die Verantwortung von Nicole und Martin. Sie gehen mit ihr zu einer Beratungsstelle, zum Sozialamt, zum Jugendamt.
Am zweiten Tag steht er mit Blumen vor der Tür. Er weiß nicht, wie das passieren konnte. Der Alkohol, die Enttäuschung, aber er wird nie wieder trinken, sie solle jetzt bitte mit nach Hause kommen.
Nicole ist nicht beeindruckt. Er solle gehen, sonst würde sie die Polizei rufen.
Sie sieht, wie der rechte Mundwinkel ihres Mannes sich hebt, stellt sich vor die Freundin und knallt die Wohnungstür zu. Er tritt und schlägt dagegen, beschimpft sie und droht. Als Nachbarn in den Flur treten, droht er auch denen. Eilig flüchten sie zurück in ihre Wohnungen. Die Kinder stehen in der Küche, weinen und zittern.
Die nächsten Tage sind auch für die Freunde zu viel. Er steht vor dem Haus, ruft ständig an, bittet und bettelt. Und wenn er merkt, dass das nicht hilft, schreit er, tobt und droht. Sie schleicht sich durch die Hintertür hinaus, den Kindern verbietet sie, das Haus zu verlassen. Familienstreitigkeiten, sagt die Polizei. Er macht einen ganz vernünftigen Eindruck, vielleicht sollten sie sich mal aussprechen!
Am fünften Tag fängt er sie auf der Straße ab. Reden will er, ganz in Ruhe reden. Aber nicht hier und schon gar nicht im Beisein von Nicole und Martin, die sie aufgehetzt haben, die schuld daran sind, dass es so weit gekommen ist.
Sie ist auf dem Weg zu einer Wohnungsbesichtigung. Aber davon sagt sie nichts.
Sie schlägt ein Treffen am Abend in einem Café vor! Recht ist ihm das nicht, das sieht sie ihm an, aber er willigt ein und lässt sie vorbei.
Die Wohnung, die sie sich ansieht, liegt in einer Siedlung am anderen Ende der Stadt. Ein ganzer Straßenzug trister, grauer Blocks. Acht Stockwerke hoch. Sie ist noch bewohnt, das Badezimmer ohne Fenster, mit Schimmelflecken auf den feuchten Wänden, die Küche überzogen mit einem feinen Fettfilm. Ein süßlicher Geruch nach vergorenen Abfällen und kaltem Zigarettenrauch liegt in der Luft. Hier will sie nicht wohnen, hier will sie ihre Kinder nicht aufwachsen sehen.
Das Gespräch am Abend verläuft friedlich. Er vermisst sie und die Kinder. Es liegt am Alkohol, sie soll sich bitte erinnern. Nüchtern hat er sie noch nie geschlagen.
Er kann nicht arbeiten, wenn sie nicht zurückkommt. Wie soll er da den Lebensunterhalt für die Familie
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