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Mitternacht

Mitternacht

Titel: Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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seinen Sohn. Wenn er herausfindet, daß es dein Schicksal ist, größer und mächtiger zu werden, als er es ist... dann kann dir niemand mehr helfen. Nicht einmal ich.«
    Wäre ihr Familienleben mehr von Liebe beherrscht gewesen, hätte Tommy die Warnung des Indianers vielleicht kaum akzeptieren können. Aber sein Vater unterhielt sich selten mehr als beiläufig mit ihm, berührte ihn noch seltener
    - und niemals gab es eine Umarmung oder einen Kuß.
    Manchmal brachte Runningdeer dem Jungen selbstgemachte Plätzchen mit. »Kaktusplätzchen«, nannte er sie, und es gab immer nur eines für jeden, die sie gemeinsam aßen, wenn sie entweder auf der Veranda saßen und der Indianer seine Vesperpause machte, oder wenn Tommy seinem Mentor bei verschiedenen Aufgaben über das achtzig Ar große Grundstück folgte. Kurz nachdem er das Kaktusplätzchen gegessen hatte, war der Junge in einer seltsamen Stimmung. Er fühlte sich euphorisch. Wenn er sich bewegte, schien er zu schweben. Die Farben waren leuchtender, schöner. Das eindrucksvollste aber war Runningdeer: sein Haar war unglaublich schwarz, die Haut wunderschön bronzefarben, die Zähne strahlten weiß, die Augen so dunkel wie das Ende des Universums. Jedes Geräusch - sogar das metallische schnip-schnip-schnip der Heckenschere, das Dröhnen eines Flugzeugs, das auf dem Weg zum Flughafen von Phoenix über ihnen hinwegzog, das insektenhafte Summen der PoolPumpe - wurde Musik; die Welt war voller Musik, aber das musikalischste von allem war Runningdeers Stimme. Auch Gerüche wurden deutlicher: Blumen, gemähtes Gras, das Öl, mit dem der Indianer die Werkzeuge einölte. Sogar der Schweißgeruch wurde angenehm. Runningdeer roch wie frischgebackenes Brot und Heu und Kupferpennys.
    Tommy konnte sich selten daran erinnern, was Runningdeer gesagt hatte, nachdem sie ihre Kaktusplätzchen geges sen hatten, aber er erinnerte sich, daß der Indianer mit besonderer Eindringlichkeit zu ihm sprach. Vieles hatte mit dem Zeichen des Mondfalken zu tun. »Wenn die großen Geister das Zeichen des Mondfalken schicken, dann weiß man, man wird unermeßliche Macht bekommen und unverwundbar sein. Unverwundbar! Aber wenn du den Mondfalken siehst, dann bedeutet das, daß die großen Geister eine Gegenleistung von dir erwarten, eine Tat, die wirklich beweist, daß du würdig bist.« Daran erinnerte sich Tommy, aber sonst an fast nichts. Normalerweise wurde er nach einer Stunde müde und ging auf sein Zimmer, um zu schlafen; dann waren seine Träume besonders lebhaft und wirkten echter als das wirkliche Leben, und immer kam der Indianer darin vor. Es waren furchteinflößende und zugleich tröstliche Träume.
    An einem regnerischen Samstag im November, als Tommy zehn Jahre alt war, saß er auf einem Hocker neben der Werkbank am Ende der Garage, die vier Autos Platz bot und sah zu, wie Runningdeer ein elektrisches Messer reparierte, das der Richter immer dazu benützte, am Erntedankfest und an Weihnachten den Truthahn zu schneiden. Die Luft war angenehm kühl und für Phoenix ungewöhnlich feucht. Runningdeer und Tommy sprachen vom Regen, den bevorstehenden Ferien und jüngsten Ereignissen in der Schule. Sie unterhielten sich nicht immer über Zeichen oder das Schicksal, sonst hätte Tommy den Indianer wohl kaum so gut leiden mögen; Runningdeer war ein großartiger Zuhörer.
    Als der Indianer das elektrische Messer repariert hatte, schaltete er es ein. Die Klingen sausten so schnell hin und her, daß die Schnittkante verschwamm.
    Tommy applaudierte.
    »Siehst du das?« fragte Runningdeer, hielt das Messer hoch und blinzelte ins Licht der Glühbirnen an der Decke.
    Grelle Funken stoben von den rasenden Klingen, als wä ren sie emsig damit beschäftigt, das Licht selbst zu schneiden.
    »Was?« fragte Tommy.
    »Dieses Messer, kleiner Häuptling. Es ist eine Maschine. Eine unnütze Maschine, keine wirklich wichtige Maschine wie ein Auto, ein Flugzeug oder ein elektrischer Rollstuhl. Mein Bruder ist... verkrüppelt... und muß mit einem elektrischen Rollstuhl fahren. Hast du das gewußt, Kleiner Häuptling?«
    »Nein.«
    »Einer meiner Brüder ist tot, der andere verkrüppelt.«
    »Das tut mir leid.«
    »Eigentlich sind es nur meine Halbbrüder, aber andere habe ich nicht.«
    »Wie ist das passiert? Warum?«
    Runningdeer ging nicht auf die Frage ein. »Auch wenn der Zweck dieses Messers nur darin besteht, einen Truthahn zu zerlegen, den man ebenso gut mit der Hand zerlegen könnte, ist es trotzdem

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