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Mitternacht

Mitternacht

Titel: Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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effizient und klug. Die meisten Maschinen sind viel effizienter und klüger als Menschen.«
    Der Indianer senkte das Schneidegerät etwas und sah Tommy direkt an. Er hielt das summende Messer zwischen sie und sah über die rasende Klinge hinweg in Tommys Augen.
    Der Junge geriet in einen ähnlichen Bann wie nach dem Verzehr der Kaktusplätzchen, obwohl sie keine gegessen hatten.
    »Der weiße Mann setzt viel Vertrauen in Maschinen«, sagte Runningdeer. »Er denkt, Maschinen seien immer viel zuverlässiger und klüger als Menschen. Wenn du in der Welt des weißen Mannes wahrhaft groß werden willst, Kleiner Häuptling, mußt du versuchen, so gut du kannst, zur Maschine zu werden. Du mußt effizient sein. Du mußt unabläs sig arbeiten, wie eine Maschine. Du mußt entschlossen dein Ziel verfolgen und darfst dich nicht von Begierden oder Emotionen ablenken lassen.«
    Er bewegte die summende Klinge langsam auf Tommys Gesicht zu, bis der Junge bei dem Versuch, sie weiter anzusehen, zu schielen anfing.
    »Damit könnte ich dir die Nase abschneiden, die Lippen wegreißen, die Wangen aushöhlen und Ohren abtrennen...«
    Tommy wollte vom Hocker herunter und weglaufen.
    Aber er konnte sich nicht bewegen.
    Er merkte, daß der Indianer ihn an einem Handgelenk festhielt.
    Aber selbst wenn er ihn nicht festgehalten hätte, hätte er nicht weglaufen können. Er war wie gelähmt. Aber nicht nur vor Angst. Der Augenblick hatte etwas Verführerisches an sich; das Potential der Gewalt war auf eine seltsame Weise... aufregend.
    »...könnte die Rundung deines Kinns abschneiden, dich skalpieren, die Knochen freilegen, und du würdest verbluten oder an einer anderen Ursache sterben, aber...«
    Die Klinge war nur noch fünf Zentimeter von seinem Ge sicht entfernt.
    ».. .aber die Maschine würde weitermachen...«
    Zwei Zentimeter.
    »...das Messer würde immer noch summen und schneiden, summen und schneiden...«
    Ein Zentimeter.
    »...weil Maschinen nicht sterben...«
    Tommy konnte den sanften Hauch spüren, den die beiden unablässig summenden Klingen erzeugten.
    »...Maschinen sind effizient und zuverlässig. Wenn du es in der Welt des Weißen Mannes zu etwas bringen willst, Kleiner Häuptling, mußt du wie eine Maschine werden.«
    Runningdeer schaltete das Messer ab. Er legte es weg.
    Er ließ Tommy nicht los.
    Er beugte sich dicht zu ihm und sagte: »Wenn du groß werden möchtest, wenn du die großen Geister zufriedenstellen möchtest, wenn sie dir das Zeichen des Mondfalken schicken, dann mußt du entschlossen sein, tüchtig, kalt, verbissen und darfst nicht an die Konsequenzen denken, genau wie eine Maschine.«
    Danach unterhielten sie sich oft darüber, so sehr auf eine Aufgabe fixiert und so zuverlässig wie eine Maschine zu sein, besonders wenn sie Kaktusplätzchen aßen. Als er in die Pubertät kam, träumte Tommy immer seltener von sexuellen Dingen, sondern zunehmend von Bildern des Mondfalken und von Menschen, die äußerlich normal aussahen, im Inneren aber nur aus Kabeln und Transistoren und klickenden Metallschaltern bestanden.
    Im Sommer seines zwölften Jahres, nachdem er sieben Jahre in der Gesellschaft des Indianers verbracht hatte, erfuhr der Junge, was mit Runningdeers Halbbrüdern passiert war. Wenigstens einen Teil davon. Den Rest reimte er sich zu sammen.
    Er und der Indianer saßen auf der Veranda, aßen zu Mittag und beobachteten die Regenbogen, die im Nebel der Ra sensprenger auftauchten und wieder verschwanden. Er hatte seit jenem Tag an der Werkbank vor mittlerweile mehr als eineinhalb Jahren mehrmals nach Runningdeers Brüdern gefragt, aber der Indianer hatte nie darauf geantwortet. Dieses mal jedoch sah Runningdeer zu den fernen, dunstigen Bergen und sagte: »Ich erzähle dir ein Geheimnis.«
    »Gut.«
    »So geheim, wie die Zeichen, die du bekommen hast.« 
    »Klar.«
    »Ein paar weiße Männer, Collegejungs, betranken sich und fuhren in der Gegend herum, sie suchten vielleicht nach Frauen, aber ganz bestimmt nach Ärger. Sie trafen meine Brüder zufällig auf dem Parkplatz eines Restaurants. Einer meiner Brüder war verheiratet, und seine Frau war bei ihm, und die Collegejungs fingen an, Verspottet-die-Indianer zu spielen, aber die Frau meines Bruders gefiel ihnen auch sehr gut. Sie wollten sie und waren so betrunken, daß sie dachten, sie könnten sie einfach nehmen. Es kam zum Kampf. Sie waren fünf gegen meine zwei Brüder, und sie haben einen mit einer Eisenstange totgeschlagen. Der andere wird nie

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