Mitternachtserwachen
Griff zu brechen, aber er schenkte ihrem Gestrampel keinerlei Beachtung. Er umfasste ihre Kehle, und sie dachte, er würde sie erwürgen, genauso leicht, wie man eine Fliege erschlug. Doch er führte keinen Druck aus, während er sie musterte, dermaßen intensiv, dass sie glaubte, sie spüre ihn in ihrem Gehirn.
Aileen suchte in ihrer Jackentasche nach dem Stofftier eines Waschbären, das Ralph ihr geschenkt hatte.
„Halt still. Hast du noch weitere Waffen?“
„Außer der Klobürste?“, flüsterte sie mit panischer Stimme.
Seine Mundwinkel zuckten, es raubte ihm dennoch nicht die bedrohliche Ausstrahlung.
Er packte sie und drehte sie mit dem Gesicht zur Scheunenwand. „Hände flach an die Wand.“
Instinktiv gehorchte sie, denn sie ahnte, falls sie nicht nachgab, würde er sie mit Gewalt zwingen. Er umfasste ihre Schultern, strich an ihrem Rücken entlang und fasste nach vorn. Empört keuchte sie auf, weil seine Hände genau auf ihrem Busen lagen, kniff die Augenlider zu und hoffte, er würde ihr nicht noch mehr antun, als sie zu töten. Er ließ sich Zeit, bis er sie fortnahm. Sie glaubte, die Hitze seiner Handflächen durch die Softshell-Jacke zu spüren, was unmöglich war.
„Dein Herz schlägt wie verrückt. Deine Angst ist nicht gespielt.“
Erleichtert atmete sie aus, weil er mit den Händen nach unten strich, über Bauch und Hüften, ihren Po ausgiebig begrapschte, das perverse Schwein. Er kickte ihre Füße auseinander und ging hinter ihr in die Hocke, tastete ihre Beine von unten nach oben ab, und seine Berührung wandelte sich von geschäftlich in etwas Persönliches. Er richtete sich auf, packte ihr Haar und hob es an. Er stand so dicht bei ihr, dass sein warmer Atem ihren eiskalten Nacken berührte. Unvermittelt legte er einen Arm um ihren Hals und fasste zwischen ihre Schenkel.
„Fertig, du ekliges Monster?“ Selbst in ihrer Todesangst wollte sie wenigstens einen Anflug von Rückgrat zeigen.
„Noch lange nicht, Aileen.“
Er kannte ihren Namen! Woher? Und was hatte er vor mit ihr? Lior griff in ihre Jackentasche und lockerte den Halt, schnaubte amüsiert, da er die vermeintliche Waffe als einen Stofftierwaschbären enttarnte. Hoffentlich nahm er ihn ihr nicht fort, er war das letzte Geschenk von Ralph gewesen. Er fasste Aileen an den Oberarmen und drehte sie um.
Sein intensiver Blick machte sie nervös, denn er sah sie längst nicht mehr so hasserfüllt an. Er reichte ihr den Waschbären, und sie griff danach, als wenn er ihr Schutz bot.
„Wir töten sie nicht. Nosferat will sie verhören“, sagte Lior. „Ich glaube, sie ist unschuldig.“ Er klang, als misstraue er den eigenen Worten.
Sie konnte nicht glauben, dass es real war. Sie hatte nicht wirklich eine Vampirin gefunden, die den letzten Atemzug in ihren Armen genommen hatte, stand nicht mit den angsteinflößendsten Kerlen, die sie jemals gesehen hatte, in einer Scheune. Ihr leerer Magen krampfte sich zusammen, und Dunkelheit drohte sie zu verschlingen.
„Mädchen, bleib bei uns“, sagte Lior. Alles drehte sich, und sein Blick wurde sanfter. Er legte ihr eine Handfläche gegen die Schläfe und nahm eine ihrer Tränen mit der Fingerspitze auf. Ein beruhigendes Pulsieren ging von seiner Haut aus.
Plötzlich ließ er sie los, und die Kerle wirbelten herum und starrten auf das Tor.
Eine Armada aus Schatten füllte den Eingang. Aileen sackte zu Boden, robbte auf ein Loch in der Scheunenwand zu. Sie wollte nur noch weg von diesem Ort, zu ihrem Auto flüchten und sich in die Sicherheit ihres Cottages retten. Den Anruf bei der Polizei würde sie sich sparen, denn das hier war zu verrückt. Die Silhouetten nahmen Konturen an, hatten Flügel und waren engelsgleich schön in dem Licht der gleißenden Blitze. Sie riss sich von dem Anblick los und kroch den letzten Meter.
Aileen hörte, wie Schwerter aufeinanderschlugen, und zwängte sich durch die Öffnung. Sie schlug einen Bogen zur Straße, versuchte, nicht daran zu denken, dass sie Togo seinem Schicksal überlassen hatte.
Sollte sie umkehren?
Zuerst glaubte sie, ihre Sinne würden ihr einen Streich spielen, doch ein Pferd tauchte aus dem Nichts auf, im Sattel eine überirdisch schöne Reiterin.
Sie streckte ihre Hand aus.
„Wenn du leben willst, steig auf, Aileen. Ich bin Rovella.“
Aileen sah zur Scheune. Sie konnte Togo nicht seinem Schicksal überlassen.
„Keine Angst, sie werden dem Hund kein Leid antun.“
Rovella riss sie förmlich von den Füßen, und sie
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