Mitternachtserwachen
dass Aileens Kopf zur Seite flog.
Tuatha de Danann! Das sollte der Hohe Rat der Andersartigen sein? Sie erinnerten Aileen an die Inquisition, gnadenlos, herzlos und nicht an der Wahrheit interessiert.
Hatte sie in ihren unzähligen Albträumen ihren Tod vorhergesehen? Würde sie im modernen Zeitalter als Hexe verbrannt werden, nachdem man ein Geständnis aus ihr herausgepresst hatte, wie zu den Zeiten des Mittelalters für Verbrechen, die sie nicht begangen hatte? Wie lange würde sie die Agonie aushalten? Selbst beim Zahnarzt starb sie jedes Mal tausend Tode. Wie sollte sie einer Folterung standhalten? Sie konnte den jetzigen Schmerz kaum ertragen. Niemals hätte sie gedacht, dass Schmerz so tief gehend sein konnte, bis er einen reduzierte, einem die Würde und alles andere nahm, bis man alles tun würde, nur damit es aufhörte.
Die Tür zu ihrer Linken flog auf und donnerte gegen die Wand.
„Norgana, was geht hier vor sich?“ Der blasse, hellblonde Mann sprach nicht laut, doch seiner Stimme merkte man an, dass er es gewohnt war, sich durchzusetzen und auch wusste, wie er dazu vorgehen musste. Hinter ihm liefen zwei Männer, gekleidet in dunkelrote Uniformen.
„Ich habe die Killerin auf frischer Tat ertappt. Sie war gerade dabei, die Knochen von Tanina und Britta Leorghi zu horten.“ Sie log, ohne mit der Wimper zu zucken.
„Du hast gesehen, wie sie die Körper zerlegt hat?“
Der Blonde trat an Aileen heran und packte ihr Kinn, nicht fest, aber dennoch bedrohlich. Er war gefährlicher als Norgana. Die Spinne zeigte offen, was sie fühlte, doch er war wie eine neutrale Verpackung, unter der sich eine unliebsame Überraschung verbarg.
„Sie ist eine Marbhadair!“, zischte die Schlange.
„Tatsächlich! Auf mich wirkt sie schwach … menschlich.“ Mit dem Zeigefinger zog er eine Spur zwischen ihren Brüsten, ihrem Bauch bis hinunter zu ihren gespreizten Beinen. Er starrte in ihre Augen, und seine waren von einem kalten Grau.
Ihre Haut kribbelte an den Stellen, wo er sie berührte, als wolle sie fortkriechen. Direkt über ihrem Venushügel stoppte er, und Aileen konnte nichts gegen die Tränen tun, die ihre Wangen hinunterliefen. Wenn er es begehrte, könnte er sie schänden, und sie war nicht einmal fähig, den Finger zu heben, um sich zu wehren.
„Ich habe die Mädchen nicht getötet und ausgeweidet“, sagte sie mit einer Stimme, aus der das erlittene Leid in jeder Silbe nachklang. Sie war nicht mutig, bestand nur noch aus Angst, dass diese kalten Wesen ihr weitere Pein zufügten, die ihre Vorstellungskraft sprengten, einfach nur, weil sie es konnten und niemand sie zur Rechenschaft ziehen würde.
Er stand so dicht vor ihr, dass ihr eiskalter Körper die Wärme seiner Haut beinahe herbeisehnte. Das Frieren tat weh, zerrte an ihren Muskeln und erweckte den Schmerz in ihren Nervenbahnen zu neuem Leben.
„Norgana, du hast meine Frage nicht beantwortet!“
„Der Dolch des Mitternachtserwachens steckte noch in einem der Opfer! Ihr Dolch“, kreischte sie, während sie mit dem Finger auf Aileen zeigte. Ihre Fingernägel waren zerkaut. Aberwitzigerweise fiel ihr das Detail ins Auge.
„Du hast aber nicht gesehen, dass sie es getan hat.“
Norgana schnaubte wie ein wütender Büffel. „Sie unterdrückt ihre Kräfte, wirkt harmlos und umwickelt dich mit ihren Lügen.“
Der Blonde wandte sich zu den Wachen, die ihm gefolgt waren. „Bindet sie auf der Stelle los, gebt ihr was zum Anziehen, bringt sie in eine Zelle und verarztet sie. Wenn die Lugus sie in diesem Zustand vorfinden …“
„Kurgis!“
Der Blonde schnellte herum, und Norgana zuckte zusammen. „Willst du meine Befehle infrage stellen?“, wisperte er.
Die Schlange senkte den Blick. „Nein.“
Eine der rot gekleideten Wachen stellte sich vor Aileen und umfasste sie an den Schultern. „Ganz ruhig, Kleine“, sagte er so leise, dass nur sie ihn verstehen konnte. „Ich halte dich, lass dich einfach fallen.“ Der zweite trat hinter sie. Er löste zuerst die Fußgelenksfesseln, dann die um ihre Handgelenke. Sie wollte so gern aus eigener Kraft stehen bleiben, nicht wimmern, als sie zusammensackte und ihre Schultergelenke pure Agonie durch ihren Leib jagten. Doch sie versagte. Er fing sie auf und hob sie auf die Arme. Sie war nicht einmal in der Lage, den Kopf zu heben. Der andere legte eine Decke über sie.
„So eine Schande“, murmelte er.
Jeder Schritt, den er machte, war ein grauenvoller Widerhall in ihrem Körper, bis
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