Mitternachtsfalken: Roman
Kuriertätigkeit zu beschränken. Dann tippte sie einen Bericht an ihren Vorgesetzten, in dem sie alle militärisch relevanten Informationen aus dem Päckchen auflistete. Durchschläge waren für die anderen Abteilungen bestimmt.
Um vier Uhr beendete sie ihre Arbeit – vorläufig. Es gab noch mehr zu tun, und sie würde am Abend noch ein paar Stunden im Büro verbringen – doch jetzt hatte sie eine Verabredung zum Tee mit ihrer Mutter.
Margaret Mount lebte in einem kleinen Haus in Chelsea. Nach dem Tod ihres Mannes, den ein Krebsleiden schon mit Ende vierzig dahingerafft hatte, war sie mit Elizabeth zusammengezogen, einer unverheirateten Schulfreundin. Die beiden redeten sich mit Mags und Bets an, ihren alten Spitznamen aus Jugendzeiten, und waren heute mit dem Zug nach Bletchley gekommen, um Hermias Quartier zu besichtigen.
Mit raschen Schritten ging Hermia die Dorfstraße entlang und betrat das Haus, in dem sie ein möbliertes Zimmer gemietet hatte. Mags und Bets waren bereits da; sie saßen in der guten Stube und unterhielten sich mit Mrs. Bevan, der Vermieterin. Hermias Mutter trug ihre Uniform als Sanka-Fahrerin, war also in Hosen und hatte eine Mütze auf dem Kopf. Bets, eine gut aussehende Frau von fünfzig Jahren, trug ein geblümtes Kleid mit kurzen Ärmeln. Hermia umarmte ihre Mutter und drückte Bets einen Kuss auf die Wange. Mit Mutters Freundin war sie nie recht warm geworden. Manchmal hatte sie das Gefühl, dass Bets eifersüchtig auf sie war, weil sie ein so enges Verhältnis zu ihrer Mutter hatte.
Hermia führte die beiden ins Obergeschoss. Bets musterte das triste Zimmer mit dem Einzelbett äußerst kritisch, Mags dagegen sagte in herzlichem Ton: »Gar nicht so übel für Kriegszeiten!«
»Ich bin nicht so oft hier«, log Hermia. In Wirklichkeit verbrachte sie in dem kleinen Raum viele lange, einsame Abende mit Lesen und Radiohören.
Sie setzte Teewasser auf und schnitt den kleinen Kuchen auf, den sie für den Besuch gekauft hatte.
»Von Arne hast du vermutlich nichts gehört?«, fragte ihre Mutter.
»Nein. Ich habe ihm über die britische Gesandtschaft in Stockholm einen Brief geschickt, der von dort aus weitergeleitet wurde. Aber ich habe nie eine Antwort erhalten, weshalb ich nicht einmal weiß, ob der Brief überhaupt angekommen ist.«
»Oje!«
»Ich hätte deinen Arne ja liebend gerne kennen gelernt«, sagte Bets. »Was ist er für ein Mann?«
Hermia verglich die Art und Weise, wie sie sich in Arne verliebt hatte, mit einem Abfahrtslauf auf Skiern: Ein kleiner Anstoß, um in Fahrt zu kommen, eine plötzliche Beschleunigung und dann, eigentlich noch ehe sie dafür bereit gewesen war, das herrliche Gefühl einer halsbrecherischen Schussfahrt talwärts ohne jede Chance zum Innehalten. Aber wie sollte sie das erklären? »Er sieht aus wie ein Filmstar, ist ein hervorragender Sportler und hat den Charme eines Iren«, sagte sie, »aber das ist es eigentlich nicht... Es ist einfach so leicht, mit ihm zusammen zu sein. Was immer auch geschieht – er lacht darüber. Manchmal ärgere ich mich – wenn auch nie über ihn -, und dann lächelt er mich einfach an und sagt: ›Du bist einmalig, Hermia, du bist unvergleichlich, ich schwör‘s dir.‹ O Gott, wie ich ihn vermisse!« Sie kämpfte gegen die Tränen.
»Viele Männer haben sich schon in dich verliebt, Hermia«, erwiderte ihre Mutter, »aber es gibt nur wenige, die es mit dir aushalten.« Mags‘ Umgangston war genauso unverblümt wie Hermias eigener. »Du hättest ihn festnageln und heiraten sollen, als du noch Gelegenheit dazu hattest.«
Hermia wechselte das Thema und erkundigte sich nach den Bombenangriffen. Bets verkroch sich bei Luftalarm unter dem Küchentisch, während Mags ihren Krankenwagen durch den Bombenhagel steuerte. Hermias Mutter war schon immer ein formidables Weib gewesen – ein bisschen zu direkt und zu wenig taktvoll für eine Diplomatengattin. Erst im Krieg waren ihre Kraft und ihr Mut voll zum Tragen gekommen, genauso wie ein Geheimdienst, dem es an Männern mangelte, einer Frau wie Hermia die Chance zur vollen Entfaltung bot.
»Die Luftwaffe kann das nicht ewig durchhalten«, sagte Mags. »Sie hat keine unbegrenzten Kapazitäten an Flugzeugen und Piloten. Wenn unsere Air Force weiterhin die deutschen Industriegebiete bombardiert, ist irgendwann Schluss. Es muss sich ja mal auswirken.«
»Die unschuldigen Frauen und Kinder in Deutschland leiden unterdessen genauso wie wir«, warf Bets ein.
»Das weiß ich«,
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