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Mitternachtsfalken: Roman

Titel: Mitternachtsfalken: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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sagte Mags. »Aber das haben Kriege nun mal so an sich.«
    Hermia musste an das Gespräch mit Digby Hoare denken. Leute wie Mags und Bets waren überzeugt, dass die britischen Bombenangriffe die Nazis von innen heraus schwächten. Glücklicherweise hatten sie nicht die geringste Ahnung davon, dass die Hälfte der Flugzeuge abgeschossen wurde. Wenn die Menschen die Wahrheit wüssten, gäben sie vielleicht auf, dachte sie.
    Mags erzählte sehr ausführlich, wie sie einen Hund aus einem brennenden Gebäude gerettet hatte. Hermia hörte nur noch mit einem Ohr zu und dachte an etwas ganz anderes. Wenn Freya eine Maschine war, die die Deutschen zur Verteidigung ihrer Grenzen einsetzten, so konnte sie sich ohne weiteres in Dänemark befinden. Die Frage war nur, ob sie, Hermia, imstande war, Näheres darüber herauszufinden. Hoare hatte gesagt, das Gerät könne vielleicht irgendwelche Strahlen aussenden – entweder Lichtimpulse oder elektromagnetische Wellen. Solche Strahlenquellen mussten sich eigentlich ausfindig machen lassen. Vielleicht war das ein Job für die Mitternachtsfalken.
    Die Idee war geradezu aufregend. Hermia konnte den Mitternachtsfalken eine Botschaft zukommen lassen, benötigte aber zunächst noch mehr Informationen. Ich fange heute Abend noch damit an, dachte sie – sobald ich Mags und Bets wieder in den Zug gesetzt habe...
    Wie lange hatten die beiden eigentlich noch vor zu bleiben? »Noch ein Stückchen Kuchen, Mutter?«, fragte sie.

    J ansborg Skole war dreihundert Jahre alt und stolz darauf. Ursprünglich hatte das Internat nur aus einer Kirche und einem Haus, in dem die Jungen aßen, schliefen und unterrichtet wurden, bestanden. Inzwischen bildete es einen Komplex aus mehreren alten und neuen Backsteinhäusern. Die Bibliothek, die einst die schönste in ganz Dänemark gewesen war, beanspruchte ein eigenes Gebäude, das ebenso groß war wie die Kirche. Es gab einen Chemie- und einen Physiksaal, moderne Schlafräume und eine Krankenstation. Die Turnhalle war in einer ehemaligen Scheune untergebracht.
    Harald Olufsen war auf dem Weg vom Speisesaal in die Turnhalle. Es war zwölf Uhr, und die Jungen hatten gerade zu Mittag gegessen – selbst gebackenes Weißbrot in Scheiben, dazu kalten Schweinebraten und Mixed Pickles. Sieben Jahre lang war Harald nun schon auf diesem Internat – und noch nie hatte es mittwochs etwas anderes zu essen gegeben.
    Den Stolz auf das Alter der Lehranstalt hielt er für Blödsinn. Wenn die Lehrer in ehrfurchtsvollem Ton von der langen Geschichte des Internats schwadronierten, musste er an die alten Fischersfrauen auf Sande denken, die mit neckischem Lächeln sagten: »Ich bin schon über siebzig!« – so, als ob das eine besondere Leistung wäre.
    Als er am Haus des Direktors vorbeikam, trat gerade dessen Frau vor die Tür und lächelte ihm zu. »Guten Tag, Mia«, sagte Harald höflich. Der Direktor wurde stets Heis genannt – das war das altgriechische Wort für Eins, und so musste seine Frau eben Mia heißen, denn das war die weibliche Form von Heis. Zwar war der Griechischunterricht an der Schule schon vor fünf Jahren eingestellt worden – doch Traditionen waren nun einmal zählebig.
    »Gibt‘s was Neues, Harald?«, wollte Mia wissen.
    Harald besaß ein selbstgebautes Radio, mit dem er die BBC empfangen konnte. »Der Aufstand im Irak ist niedergeschlagen worden«, sagte er. »Die Engländer sind in Bagdad einmarschiert.«
    »Ein Sieg für die Briten!«, sagte Mia. »Mal was anderes.«
    Mia war eine unscheinbare Frau mit einem hausbackenen Gesicht und stumpfen braunen Haaren. Sie trug immer Kleider, die ihre Figur verhüllten, doch da sie eine von insgesamt nur zwei Frauen im Internat war, fantasierten die Jungen ständig darüber, wie sie wohl nackt aussehen mochte. Harald fragte sich, ob seine Sexbesessenheit jemals nachlassen würde. Theoretisch, dachte er, muss es einem ja irgendwann langweilig werden, wenn man über Jahre hinaus jede Nacht mit seiner Ehefrau schläft, einfach schon aus Gewohnheit – nur in der Praxis konnte er sich das gar nicht vorstellen.
    Der Stundenplan sah für die nächsten zwei Stunden Mathe vor, doch heute war alles anders. Svend Agger besuchte die Schule. Der ehemalige Jansborg-Schüler vertrat inzwischen seine Heimatstadt als Abgeordneter im Rigsdag, dem dänischen Parlament. Er wollte eine Ansprache halten, und der einzige Raum, in dem alle 120 Schüler Platz hatten, war die Turnhalle. Harald hätte lieber Mathematik gehabt.
    Den

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