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Mitternachtsfalken: Roman

Titel: Mitternachtsfalken: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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zwei Zentimeter vorrückte. Dann hörte er Poul sagen: »Gashebel gesetzt!«
    »Zündung!«
    Poul griff hinaus und knipste zwei Schalter vor seinem Cockpit an.
    Wieder drehte der Wart am Propeller, doch diesmal trat er sofort danach einen Schritt zurück. Der Motor zündete, und der Propeller drehte sich. Es ertönte ein lautes Dröhnen, und ein Zittern ging durch das kleine Flugzeug. Harald wurde mit einem Schlag lebhaft bewusst, wie leicht und zerbrechlich diese Maschine war, und siedend heiß fiel ihm wieder ein, dass sie nicht aus Metall, sondern aus Holz und Segeltuch bestand. Die Vibrationen entsprachen nicht denen eines Autos oder gar eines Motorrads, die sich im Vergleich mit jenen, die er jetzt spürte, solide und erdverbunden anfühlten. Wenn man einen jungen Baum erkletterte und spürte, wie der Wind seine schlanken Äste bog, musste man sich ähnlich vorkommen.
    Harald hörte Pouls Stimme über die Sprechanlage. »Der Motor muss sich jetzt erst aufwärmen. Das wird ein paar Minuten dauern.«
    Pouls Fragen über den deutschen Stützpunkt auf Sande fielen ihm wieder ein, und er war sich sicher, dass nicht nur müßige Neugier dahinter steckte. Poul führte irgendetwas im Schilde; ihn interessierte die strategische Bedeutung des Stützpunkts. Aber warum? Gehörte er etwa einer geheimen Widerstandsbewegung an? Oder gab es andere Gründe?
    Das Motorgeräusch klang hoher. Poul stellte die Magnetschalter abwechselnd ab und an – eine weitere Sicherheitsüberprüfung, wie Harald vermutete. Dann sank der Ton ab; es klang nach Leerlauf. Endlich gab Poul dem Wart das Zeichen, die Bremsklötze zu entfernen. Harald spürte einen Ruck, und das Flugzeug rollte langsam an.
    Die Pedale unter seinen Füßen bewegten sich: Poul steuerte die Maschine mithilfe des Seitenruders über das Gras. Sie rollten bis zur Startbahn, die mit kleinen Wimpeln markiert war, drehten sich in den Wind und blieben stehen. Poul sagte: »Bevor wir starten, müssen wir noch ein paar Checks durchführen.«
    Zum ersten Mal kam Harald der Gedanke, dass das, was in Kürze mit ihm geschehen würde, gefährlich war. Sein Bruder flog schon seit Jahren und hatte bisher nie einen Unfall gehabt. Andere Piloten aber waren abgestürzt oder hatten Bruchlandungen hinter sich, und eine ganze Reihe von ihnen war dabei gestorben. Harald versuchte sich klar zu machen, dass man auch bei Auto-, Motorrad- und Schiffsunfällen ums Leben kommen konnte, doch irgendwie war dies hier etwas anderes. Er zwang sich, die beunruhigenden Gedanken zu vertreiben. Nein, er würde nicht in Panik geraten, nicht vor seinen Klassenkameraden das Gesicht verlieren.
    Plötzlich bewegte sich der Gashebel unter seiner Hand vorwärts, der Motor dröhnte auf, und die Tiger Moth begann, über die Startbahn zu rollen. Nach wenigen Sekunden glitt der Steuerhebel vor Haralds Knien nach vorn, der Schwanz der Maschine hob sich, und Harald kippte infolgedessen leicht vornüber. Das kleine Flugzeug wurde schneller und brauste ratternd und schüttelnd über die Graspiste. Die Aufregung schien Haralds Blut in Wallung zu bringen. Plötzlich bewegte sich der Steuerknüppel unter seiner Hand leicht zurück, das Flugzeug schien abzuspringen – und schon waren sie in der Luft.
    Ein wahrhaft erhebendes Gefühl! Sie stiegen und stiegen. Auf der einen Seite konnte Harald ein kleines Dorf erkennen. Im dicht besiedelten Dänemark gab es nicht viele Gegenden, in denen man keine Dörfer sehen konnte. Poul ging in eine Rechtskurve. Harald spürte, wie er zur Seite fiel, und kämpfte gegen aufkommende Panik an: Er hatte Angst, aus dem Cockpit zu fallen.
    Um sich zu beruhigen, konzentrierte er sich auf die Instrumente. Der Drehzahlmesser zeigte 2000 Umdrehungen pro Minute an. Die Geschwindigkeit betrug knapp 100 km/h. Sie befanden sich bereits in einer Höhe von über dreihundert Metern. Die Nadel auf dem Wendezeiger deutete senkrecht nach oben.
    Die Tiger Moth erreichte ihre Flughöhe und flog geradeaus weiter. Der Gashebel glitt zurück, die Tonhöhe des Motorgeräuschs sank, der Drehzahlmesser ging auf 1900 herunter. »Hast du den Steuerknüppel in der Hand?«, wollte Poul wissen.
    »Ja.«
    »Überprüfe die Horizontlinie. Wahrscheinlich verläuft sie quer durch meinen Kopf.«
    »Zum einen Ohr rein, zum anderen raus.«
    »Jetzt pass auf: Ich lasse gleich den Knüppel los. Ich erwarte dann von dir nur, dass du die Flügel gerade hältst und dass sich die Position der Horizontlinie im Verhältnis zu meinen Ohren

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