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Mitternachtsfalken: Roman

Titel: Mitternachtsfalken: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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benachbarten jüdischen Altersheim und fragte höflich: »Kann ich Ihnen helfen?«
    »Polizei«, sagte Flemming. »Wer sind Sie?«
    Abgrundtiefe Furcht zeichnete sich im Gesicht des Mannes ab; es hätte nicht viel gefehlt, und Flemming hätte Mitleid mit ihm gehabt. »Gorm Rasmussen. Ich bin der Pflegedienstleiter des Heims«, sagte er mit zitternder Stimme.
    »Sie haben Schlüssel für die Synagoge?«
    »Ja.«
    »Dann lassen Sie uns rein.«
    Der Mann zog ein Schlüsselbund aus der Tasche und öffnete eine Tür.
    Die Versammlungshalle, ein reich geschmückter Raum mit vergoldeten ägyptischen Säulen, die Galerien über den Seitenflügeln trugen, nahm einen Großteil des Gebäudeinneren ein. »Mensch, haben diese Juden ein Geld«, murmelte Conrad.
    »Zeigen Sie mir die Mitgliederliste!«, sagte Flemming zu Rasmussen.
    »Mitglieder? Wie meinen Sie.?«
    »Sie müssen doch eine Liste mit den Namen und Adressen Ihrer Gemeinde haben.«
    »Nein – bei uns sind alle Juden willkommen.«
    Instinktiv fühlte Flemming, dass der Mann die Wahrheit sagte. An seinem Entschluss, die Synagoge zu durchsuchen, änderte das allerdings nichts. »Gibt es hier irgendwelche Büros?«
    »Nein. Nur kleine Ankleidezimmer für den Rabbi und andere Würdenträger sowie eine Garderobe, in der die Gemeindeangehörigen ihre Mäntel aufhängen können.«
    Flemming nickte Dresler und Conrad zu. »Durchsuchen!« Er ging quer durch den Raum zur Kanzel und stieg die Stufen zu einer Art Baldachin hinauf. Hinter einem Vorhang entdeckte er eine Nische. »Was haben wir denn hier?«, fragte er.
    »Die Thora-Rollen«, sagte Rasmussen.
    Es handelte sich um sechs große, sehr schwer wirkende Rollen, die liebevoll in Samt gewickelt waren – das ideale Versteck für geheime Unterlagen. »Aufrollen«, sagte Flemming, »jede einzelne. Breiten Sie sie auf dem Fußboden aus, sodass ich sehen kann, ob darin noch etwas anderes versteckt ist.«
    »Ja, sofort.«
    Während Rasmussen der Anordnung Folge leistete, ging Flemming zu Tilde Jespersen, die ein paar Schritte abseits stand, und sprach mit ihr. Dabei ließ er den Pflegedienstleiter nicht aus den Augen. »Wie geht‘s Ihnen? Alles in Ordnung?«
    »Das habe ich Ihnen doch gesagt.«
    »Wenn wir was finden sollten – werden Sie mir dann Recht geben?«
    Sie lächelte. »Wenn wir nichts finden sollten – werden Sie mir dann Recht geben?«
    Er nickte, froh darüber, dass sie ihm nicht mehr böse war.
    Rasmussen breitete die Rollen aus, die mit hebräischen Schriftzeichen bedeckt waren. Flemming konnte nichts Verdächtiges entdecken. Wahrscheinlich haben sie tatsächlich keine Mitgliederliste, dachte er, oder sie hatten vielleicht eine, haben sie aber am Tag der deutschen Invasion vorsorglich vernichtet. Es war frustrierend. Er hatte wegen dieser Durchsuchung eine ganze Menge Ärger riskiert und sich bei seinem Vorgesetzten noch unbeliebter gemacht, als er ohnehin schon war. Zum Verrücktwerden, wenn das hier jetzt ein Schlag ins Wasser ist.
    Dresler und Conrad kehrten zurück. Dresler kam mit leeren Händen, Conrad aber präsentierte Flemming eine Ausgabe der Virkligheden.
    Flemming nahm die Zeitung entgegen und zeigte sie Rasmussen. »Die ist illegal.«
    »Es tut mir Leid«, sagte der Mann und sah aus, als wolle er gleich in Tränen ausbrechen. »Die wird uns in den Briefschlitz gesteckt.«
    Da die Leute, die die Zeitschrift druckten, nicht polizeilich gesucht wurden, bestand für jene, die sie bloß lasen, gar keine Gefahr – nur: Das wusste Rasmussen nicht. Flemming nutzte die Verunsicherung des alten Mannes aus. »Sie müssen Ihren Leuten doch ab und zu etwas mitteilen, ihnen schreiben oder so?«
    »Ja, natürlich, den führenden Mitgliedern der jüdischen Gemeinde. Aber wir fuhren keine Liste, wir kennen diese Leute ja.« Er versuchte zu lächeln. »Genau wie Sie, denke ich.«
    Das stimmte. Flemming kannte die Namen von einem Dutzend prominenter Juden, vielleicht auch ein paar mehr, darunter einige Bankiers, mehrere Universitätsprofessoren und Politiker, ein Maler. Aber diese Leute suchte er nicht: Sie waren zu bekannt, um Spione zu sein. Sie konnten sich nicht unerkannt an den Hafen stellen und Schiffe zählen. »Verschicken Sie keine Briefe an die einfachen Gemeindemitglieder? Spendenaufrufe zum Beispiel oder Hinweise auf Veranstaltungen, die Sie organisieren, Feiern, Ausflüge, Konzerte und so weiter?«
    »Nein«, sagte Rasmussen. »Wir hangen eine Notiz ans schwarze Brett im Gemeindezentrum, das ist

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