Mitternachtsfalken: Roman
Betonmauer:
Dieser Nazi hat keine Hosen an
Dann trat er einen Schritt zurück und bewunderte sein Werk. Die großen Buchstaben waren sicher schon aus einiger Entfernung zu lesen. Im Laufe des Vormittags würden Tausende von Kopenhagenern auf ihrem Weg zur Arbeit hier vorbeikommen, den Satz lesen und darüber schmunzeln.
»Na, was haltet ihr davon?«, sagte er und drehte sich um. Tik und
Mads waren weit und breit nicht zu sehen. Stattdessen standen zwei uniformierte dänische Polizisten unmittelbar hinter ihm.
»Sehr komisch«, sagte der eine von ihnen. »Sie sind festgenommen.«
Den Rest der Nacht verbrachte Harald Olufsen in der Ausnüchterungszelle des Politigaardens, zusammen mit einem alten Mann, der in die Hosen gemacht, und einem jungen Burschen ungefähr seines Alters, der auf den Boden gekotzt hatte. Er konnte nicht schlafen, so angewidert war er von den beiden und sich selbst. Die Stunden vergingen, und allmählich bekam er furchtbare Kopfschmerzen und einen rasenden Durst.
Der Kater und der Dreck um ihn herum waren jedoch nicht seine ärgste Sorge. Was ihm viel mehr zu schaffen machte, war seine Angst vor einem Verhör über die Widerstandsbewegung. Was würde geschehen, wenn man ihn der Gestapo überstellte? Er wusste nicht, wie lange er die Qualen der Folter würde aushalten können, und sah sich am Ende schon Poul Kirke verraten. Und das alles wegen eines Dummejungenstreichs! Sein kindisches Verhalten kam ihm im Nachhinein absolut unverständlich vor, und er schämte sich in Grund und Boden.
Um acht Uhr morgens betrat ein Polizist in Uniform die Zelle und brachte ein Tablett mit drei Tassen Ersatzkaffee und einem Teller herein, auf dem ein paar dünn mit Margarine bestrichene Schwarzbrotscheiben lagen. Harald rührte das Brot nicht an – an einem Ort, wo es stank wie in einer Latrine, konnte er nichts zu sich nehmen -, trank aber gierig seinen Kaffee.
Kurz danach wurde er abgeholt und in ein Verhörzimmer geführt. Nachdem er ein paar Minuten gewartet hatte, betrat ein Polizist das Zimmer. In der Hand hielt er eine Akte und einen Bogen Papier mit einem maschinengeschriebenen Text. »Aufstehen!«, brüllte er, und Harald sprang auf.
Der Polizist setzte sich an den Schreibtisch und las den Bericht. »Jansborg-Schüler, wie?«, fragte er.
»Jawohl.«
»Sie sollten eigentlich etwas gescheiter sein, junger Mann.«
»Jawohl.«
»Wo haben Sie sich betrunken?«
»Im Jazz-Club.«
Der Sergeant sah von dem Bericht auf. »Im Dänischen Institut also?«
»Jawohl.«
»Dann müssen Sie dort gewesen sein, als die Tysker den Laden dichtgemacht haben.«
»Jawohl.« Der in diesem Zusammenhang leicht abschätzig klingende Ausdruck Tysker für »Deutsche« verwirrte Harald. Er passte nicht zu dem förmlichen Ton.
»Betrinken Sie sich öfter?«
»Nein. Das war das erste Mal.«
»Und dann sahen Sie da diesen Betonposten – und wie es das Schicksal so will, begegnete Ihnen da auch noch ein Topf mit Farbe.«
»Es tut mir sehr Leid.«
Unvermittelt grinste der Beamte. »Hoffentlich nicht zu sehr. Ich finde das wirklich komisch. Keine Hosen an!« Er lachte.
Harald war völlig durcheinander. Der Mann hatte anfangs sehr streng gewirkt – und nun amüsierte er sich sogar über den dummen Witz. »Was geschieht jetzt mit mir?«, wollte er wissen.
»Gar nichts. Wir sind hier bei der Polizei, nicht bei der Witzpatrouille.« Der Mann riss den Bericht in der Mitte durch und ließ ihn in den Papierkorb fallen.
Harald konnte sein Glück kaum fassen. Sollte er wirklich ungeschoren davonkommen? »Was. was soll ich nun tun?«
»Nach Jansborg zurückfahren.«
»Danke!« Harald fragte sich, ob es nicht doch noch eine Möglichkeit gab, sich trotz der fortgeschrittenen Zeit unbemerkt im Internat einzuschleichen. Im Zug würde er sich noch eine Ausrede überlegen können. Vielleicht ließ sich die ganze Geschichte ja doch noch geheim halten.
Der Polizist stand auf. »Einen guten Rat noch: Lassen Sie die Finger vom Alkohol.«
»Mach ich!«, sagte Harald im Brustton der Überzeugung. Wenn ich ungeschoren aus dieser Affäre herauskomme, rühre ich nie wieder einen Tropfen Alkohol an, dachte er.
Der Polizeibeamte öffnete die Tür – und Harald erschrak bis auf die Knochen.
Draußen auf dem Flur stand Peter Flemming.
Einen Augenblick lang starrten die beiden einander an.
»Kann ich Ihnen helfen, Herr Inspektor?«, fragte der Polizist.
Flemming ignorierte die Frage und sagte zu Harald im zufriedenen Ton eines
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