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Mitternachtsfalken: Roman

Titel: Mitternachtsfalken: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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harmlos.«
    »Wirklich? Ich glaube, der lacht mich aus.«
    Harald wurde es langsam mulmig. Hoffentlich hat der Typ kein Messer in der Tasche, dachte er.
    In diesem Augenblick griff der Manager des Clubs zum Mikrofon und kündete den Auftritt von Memphis John Madison an. Das Publikum applaudierte stürmisch.
    Luther stieß Harald von sich. »Verschwinde, bevor ich dir die Gurgel durchschneide!«, sagte er.
    Harald kehrte zu seinen Freunden zurück. Er wusste, dass er sich furchtbar blamiert hatte, war aber zu betrunken, um sich groß darüber aufzuregen. »War‘n kleiner Formfehler meinerseits«, sagte er.
    Memphis Johnny betrat die Bühne, und Harald vergaß Luther schlagartig.
    Johnny setzte sich ans Klavier und beugte sich über das Mikrofon. In akzentfreiem Dänisch sagte er: »Danke, danke. Ich möchte mit einem Stück des größten Boogie-Woogie-Pianisten aller Zeiten beginnen, einem Stück von Clarence Pine Top Smith.«
    Wieder gab es Applaus, und Harald rief auf Englisch: »Play it, Johnny!«
    Am Eingang entstand plötzlich Unruhe, doch Harald achtete nicht darauf. Johnny spielte vier einleitende Takte, brach dann unvermittelt ab und sagte ins Mikrofon: »Heil Hitler, Baby!«
    Ein deutscher Offizier betrat die Bühne.
    Harald sah sich verwirrt um. Eine Gruppe von Militärpolizisten war in den Club eingedrungen. Sie nahmen die anwesenden deutschen Soldaten fest, ließen aber die dänischen Zivilisten unbehelligt.
    Der Offizier nahm Johnny das Mikrofon weg und sagte auf Dänisch: »Unterhaltungskünstler aus minderwertigen Rassen sind nicht erlaubt. Das Lokal ist geschlossen.«
    »Nein!«, rief Harald verzweifelt. »Das darfst du nicht, du NaziBauer!«
    Zu seinem Glück ging seine Stimme im allgemeinen Protestgeschrei unter.
    »Verschwinden wir lieber, bevor du noch mehr Formfehler begehst«, sagte Tik und packte Harald am Arm.
    Harald wehrte sich. »He, macht keinen Scheiß!«, schrie er. »Lasst Johnny spielen!«
    Der Offizier legte Johnny Handschellen an und führte ihn ab.
    Harald war wie am Boden zerstört. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er heute einen echten Boogie-Pianisten hören wollen – und da marschierten nach den ersten Takten die Nazis ein und machten alles zunichte. »Die haben nicht das geringste Recht dazu!«, rief er.
    »Natürlich nicht«, sagte Tik beschwichtigend und steuerte ihn Richtung Ausgang.
    Die drei Freunde stiegen die Treppe hinauf zur Straße. Die kurze skandinavische Hochsommernacht war bereits wieder von der Morgendämmerung abgelöst worden. Der Club lag am Kai, und die breite Wasserfläche schimmerte im Zwielicht. Schlafende Schiffe dümpelten an ihren Liegeplätzen. Vom Meer her blies eine kühle, salzige Brise. Harald atmete tief durch und fühlte sich ein wenig schwindelig.
    »Wir gehen am besten gleich zum Bahnhof und warten dort auf den ersten Zug«, sagte Tik. Ursprünglich hatten sie geplant, in aller
    Frühe zurückzufahren und sich wieder ins Bett zu legen – möglichst bevor irgendjemand im Internat wach wurde.
    Sie gingen Richtung Stadtmitte. An den wichtigsten Kreuzungen hatten die Deutschen Wachposten errichtet. Es handelte sich um ungefähr 1,20 Meter hohe, achteckige Stellungen aus Beton, in denen jeweils Platz für einen Soldaten war. Von außen konnte man immer nur den Oberkörper sehen. Nachts waren die Posten unbemannt. Harald war noch immer wütend wegen der Schließung des Jazz-Clubs, und die hässlichen Symbole der Naziherrschaft machten ihn noch wütender. In sinnloser Rage trat er im Vorübergehen mit dem Fuß dagegen.
    »Weil niemand ihre Beine sehen kann, heißt es, dass die Posten alle Sepplhosen tragen«, sagte Mads. Harald und Tik lachten.
    Kurz darauf kamen sie an einem Haufen Bauschutt vorbei, der vor einem frisch renovierten Laden lag. Obenauf standen, wie Harald bemerkte, mehrere Dosen mit Farbe – und bei deren Anblick kam ihm eine Idee. Er beugte sich über den Unrat und hob eine der Dosen auf.
    »Was, zum Teufel, hast du denn jetzt vor?«, wollte Tik wissen.
    Der kleine Farbrest in der Dose war noch flüssig. Harald suchte sich aus den Holzabfällen eine knapp drei Zentimeter breite Latte. Sie sollte ihm als Pinsel dienen.
    Harald achtete nicht auf die wirren Fragen von Tik und Mads, ging zurück zu dem kleinen Betonposten und kniete mit Farbe und »Pinsel« vor ihm nieder. Auch als Tik ihm plötzlich eine Warnung zuraunte, ließ er sich nicht beirren und schrieb mit großer Sorgfalt die folgenden Worte in schwarzen Lettern an die

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