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Mitternachtsfalken: Roman

Titel: Mitternachtsfalken: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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habe, sogar für komisch. ›Wir sind hier bei der Polizei, nicht bei der Witzpatrouille‹, hat er gesagt. Und wenn Peter Flemming Heis nicht bedroht hatte, wäre ich niemals von der Schule verwiesen worden.«
    »Untersteh dich, diese Geschichte zu verharmlosen! Niemand aus unserer Familie hat jemals im Gefängnis gesessen, aus welchen Gründen auch immer. Du hast uns in die Gosse hinabgezogen.« Unvermittelt wandelte sich der Gesichtsausdruck des Pastors: Zum ersten Mal zeigte er mehr Trauer als Wut. »Dieses Ereignis wäre genauso schockierend und tragisch, wenn niemand in der Welt außer mir darüber Bescheid wusste.«
    Harald spürte, dass sein Vater es aufrichtig meinte, und die Erkenntnis brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Es stimmte schon, dass der Stolz des alten Herrn verletzt war, aber das war eben nicht alles: Er machte sich ehrliche Sorgen um das geistliche Wohl seines Sohnes. Plötzlich tat es Harald Leid, dass er so sarkastisch gewesen war.
    Doch sein Vater gab ihm keine Chance zum Einlenken. »Es bleibt die Frage, was nun mit dir zu geschehen hat«, sagte er.
    Harald konnte sich auf diese Aussage keinen Reim machen.
    »Ich habe nur ein paar Schultage verloren«, sagte er. »Die Texte, die ich als Vorbereitung für das Studium durcharbeiten muss, kann ich auch hier lesen.«
    »Nein«, sagte sein Vater. »So leicht kommst du mir nicht davon.«
    Eine entsetzliche Vorahnung überkam Harald. »Was willst du damit sagen?«, fragte er. »Was hast du vor?«
    »Du wirst nicht studieren.«
    »Was sagst du da? Natürlich werde ich studieren.« Harald hatte plötzlich große Angst.
    »Ich werde dich nicht nach Kopenhagen schicken, damit du deine Seele dort mit Alkoholexzessen und Jazzmusik besudelst. Du hast gezeigt, dass du noch nicht reif genug für die Großstadt bist. Also bleibst du hier, wo ich deine geistige Entwicklung überwachen kann.«
    »Aber so einfach ist das nicht! Du kannst nicht bei der Universität anrufen und sagen: ›Bringen Sie diesem Jungen nichts bei.‹ Für mich ist bereits einen Studienplatz reserviert.«
    »Aber Geld haben sie dir meines Wissens keines gegeben.«
    Harald war schockiert. »Großvater hat doch Geld für meine Ausbildung hinterlassen.«
    »… aber die Verteilung und Auszahlung steht in meinem Ermessen. Und ich werde es dir nicht geben, damit du es in Nachtclubs verjubelst.«
    »Das Geld gehört dir nicht! Dazu hast du kein Recht!«
    »Und ob ich das habe. Ich bin dein Vater.«
    Harald war wie vor den Kopf geschlagen. Auf so etwas wäre er nie gekommen. Das war die einzige Strafe, die ihn wirklich treffen konnte. Verwirrt sagte er: »Aber du hast mir doch immer erzählt, wie wichtig eine gute Ausbildung ist.«
    »Bildung ist nicht dasselbe wie Gottesfurcht und Rechtschaffenheit.«
    »Aber selbst dann.«
    Sein Vater erkannte, dass er ihn bis ins Mark getroffen hatte, und wurde ein wenig müder. »Vor einer Stunde ist Ove Borking gestorben. Er hatte keine Ausbildung, die der Rede wert gewesen wäre – er konnte ja kaum seinen Namen schreiben. Er hat sein Leben lang auf fremden Booten gearbeitet, und sein Verdienst hat nie dazu gereicht, seiner Frau wenigstens einmal einen Teppich für die gute Stube zu kaufen. Aber er hat drei gottesfürchtige Kinder großgezogen, und Woche für Woche spendete er ein Zehntel seines dürftigen Lohns der Kirche. Das versteht Gott unter einem guten Leben.«
    Harald kannte Ove und mochte ihn; sein Tod ging ihm nahe. »Er war ein einfacher Mann.«
    »Gegen Einfachheit ist nichts einzuwenden.«
    »Aber wenn alle Menschen so wären wie Ove, würden wir immer noch mit Einbäumen zum Fischen hinausfahren.«
    »Vielleicht. Aber bevor du irgendwelchen anderen Beschäftigungen nachgehst, wirst du lernen, ihm nachzueifern.«
    »Und was bedeutet das?«
    »Zieh dich an! Deine Schulkleidung und ein sauberes Hemd. Du wirst arbeiten.« Der Pastor verließ das Zimmer.
    Harald starrte auf die geschlossene Tür. Was stand ihm nun noch bevor?
    Wie in Trance wusch und rasierte er sich. Er konnte kaum glauben, wie ihm geschah.
    Natürlich hätte er auch ohne väterliche Hilfe auf die Universität gehen können – er hätte sich dann eben eine Arbeit suchen und selbst für seinen Lebensunterhalt aufkommen müssen. Auch den Privatunterricht, den die meisten Studenten für eine unerlässliche Ergänzung des freien Unterrichts hielten, würde er sich nicht leisten können. Aber würde er unter diesen Bedingungen die Ziele erreichen, die er sich gesetzt hatte? Er

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