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Mitternachtsfalken: Roman

Titel: Mitternachtsfalken: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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waren seine Tage im Pfarrhaus gezählt.
    Zu seiner Verblüffung stellte Harald auf seinem langen Weg über den Strand fest, dass die Vorstellung, dem Vater den Gehorsam zu verweigern, mit einem Mal jeden Schrecken verloren hatte. Die dramatische Komponente fehlte, und er fragte sich, wann es zu diesem bemerkenswerten Wandel gekommen war. Die Antwort fiel ihm leicht: Es war in jenem Moment geschehen, als der Pastor ihm das Geld verweigerte, das der Großvater den Enkeln hinterlassen hatte – ein erschütternder Verrat, der das Verhältnis zwischen Vater und Sohn unweigerlich zerrütten musste. Von diesem Augenblick an war Harald klar gewesen, dass er seinem Vater nicht mehr zutraute, er hätte nur das Beste für ihn im Sinn. Er, Harald, musste fortan sehen, wie er alleine zurechtkam.
    Diese Schlussfolgerung hatte etwas sehr Ernüchterndes an sich: Natürlich musste er die Verantwortung für sein Leben nun selbst übernehmen. Es war wie die Erkenntnis, dass die Bibel nicht unfehlbar ist, und er konnte kaum noch begreifen, warum er bisher so vertrauensselig gewesen war.
    Als er das Pfarrhaus erreichte, war die Koppel leer. Harald nahm an, dass sein Vater noch einmal zu den Borkings geritten war, um mit ihnen über Oves bevorstehende Bestattung zu sprechen. Er betrat das Haus durch die Küchentür. Seine Mutter saß am Tisch und schälte 210
    Kartoffeln. Bei seinem Anblick erschrak sie. Er küsste sie, verzichtete aber auf Erklärungen.
    Harald ging auf sein Zimmer und packte seinen Koffer, als ginge es darum, wieder ins Internat zurückzukehren. Seine Mutter kam ihm nach, blieb in der Tür stehen, sah ihm zu und trocknete sich mit einem Küchentuch die Hände ab. Ihre Miene war todtraurig, das Gesicht von tiefen Falten durchzogen. Rasch wandte Harald den Blick ab. Nach einer Weile fragte seine Mutter: »Wohin gehst du?«
    »Ich weiß nicht.«
    Er dachte an seinen Bruder, ging ins Büro seines Vaters, wo das Telefon stand, und ließ sich mit der Flugschule verbinden. Nach ein paar Minuten war Arne am Apparat, und Harald erzählte ihm, was vorgefallen war.
    »Diesmal hat der Alte sein Blatt überreizt«, kommentierte Arne. »Wenn er dir eine knallharte Arbeit zugewiesen hätte – zum Beispiel als Fischputzer in der Konservenfabrik -, dann hättest du das durchziehen müssen, allein schon um zu zeigen, dass du ein Mann bist.«
    »Kann sein, ja.«
    »Aber in einem Krämerladen würdest du das nie aushalten, das ist mal sicher. Vater ist manchmal ein richtiger Dummkopf. Wo willst du jetzt hin?«
    Harald hatte sich noch nicht entschieden, doch in diesem Augenblick kam ihm eine Erleuchtung. »Nach Kirstenslot«, sagte er. »Zu Tik Duchwitz. Aber sag es Vater nicht, ich möchte nicht, dass er mir nachkommt.«
    »Kann aber sein, dass der alte Duchwitz es ihm steckt.«
    Da hat er Recht, dachte Harald. Dass Tiks hoch angesehener Vater viel Verständnis für einen Boogie spielenden Ausreißer zeigen würde, der obendrein dadurch auffiel, dass er Wände mit dummen Sprüchen verschmierte, war nicht zu erwarten. Aber da gab es noch diese halb verfallene Klosterruine, die von den Erntearbeitern auf dem Gut als Unterkunft benutzt wurde. »Ich schlafe in dem alten Kloster«, sagte Harald. »Tiks Vater wird von meiner Anwesenheit gar nichts erfahren.«
    »Und wovon willst du dich ernähren?«
    »Ich müsste Arbeit auf dem Bauernhof bekommen. Die stellen während des Sommers oft Studenten ein.«
    »Tik ist noch in der Schule, oder?«
    »Vielleicht hilft mir seine Schwester.«
    »Ja, die kenn ich. Sie ist ein paar Mal mit Poul unterwegs gewesen. Karen.«
    »Nur ein paar Mal?«
    »Ja. Wieso? Bist du an ihr interessiert?«
    »Die spielt in einer anderen Liga als ich.«
    »Da kannst du Recht haben.«
    »Wie ist das mit Poul passiert – genau, meine ich?«
    »Es war Peter Flemming.«
    »Peter!« Mads Kirke hatte keine Einzelheiten gewusst.
    »Er kam mit einem Wagen voller Bullen hier raus und hat Poul gesucht. Poul hat versucht, mit seiner Tiger Moth zu fliehen, und da hat Peter auf ihn geschossen. Die Maschine ist abgestürzt und in Flammen aufgegangen.«
    »O Gott! Hast du das gesehen?«
    »Nein, aber einer meiner Flugwarte.«
    »Mads hat mir schon einiges erzählt, aber er hat auch nicht alles gewusst. Also hat Peter Flemming Poul auf dem Gewissen! Das ist ja grässlich.«
    »Red nicht zu viel darüber, du könntest Schwierigkeiten bekommen. Sie versuchen es als Unfall zu tarnen.«
    »Schon klar.« Harald war aufgefallen, dass Arne nicht

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