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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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mehr außer mir an den Tag, an dem ich Erzengel gelästert hatte. Den Geschmack von Reinigungsmitteln spürte ich noch wochenlang auf der Zunge, und er gemahnte mich an die Notwendigkeit der Geheimhaltung.
    Sogar das Messingäffchen war mit meiner zur Schau getragenen Reue zufrieden – in ihren Augen benahm ich mich nun wieder anständig und war einmal mehr der Brave in der Familie. Um ihre Bereitwilligkeit, die alte Ordnung wieder einzuführen, unter Beweis zu stellen, zündete sie die Lieblingspantoffeln meiner Mutter an und gewann den ihr von Rechts wegen zustehenden Platz als schwarzes Schaf der Familie zurück. Außenstehenden gegenüber schlug sie sich außerdem auf die Seite meiner Eltern – dabei zeigte sie einen Konservatismus, den man bei so einem Wildfang nie vermutet hätte – und hielt meinen einzigen Fehltritt vor ihren und meinen Freunden geheim.
    Was Wunder, dass in einem Land, in dem jede körperliche und geistige Eigentümlichkeit eines Kindes die Familie in tiefe Schande stürzt, meine Eltern, die sich an Geburtsmale im Gesicht, Gurkennase und krumme Beine gewöhnt hatten, sich einfach weigerten, noch irgendwelche weiteren Peinlichkeiten an mir wahrzunehmen; ich meinerseits erwähnte kein einziges Mal das Summen in meinem Ohr, das gelegentliche Glockenläuten der Taubheit, die periodischen Schmerzen. Ich hatte gelernt, dass Geheimnisse nicht immer etwas Schlechtes waren.
    Aber stellen Sie sich die Verwirrung in meinem Kopf vor! Wo hinter dem abscheulichen Gesicht, über der Zunge mit dem Geschmack nach Seife, direkt an dem durchlöcherten Trommelfell ein
nicht sehr ordentlicher Geist lauerte, so voller Krempel wie die Taschen eines Neunjährigen ... versetzen Sie sich irgendwie in mich hinein, blicken Sie durch meine Augen hinaus, hören Sie den Lärm, die Stimmen – und dann den Zwang, andere Leute nichts wissen zu lassen. Am allerschwierigsten war es, überrascht zu tun, wenn meine Mutter beispielsweise sagte: He Saleem rat mal was wir machen ein Picknick in der Aarey Milk Colony, und ich musste oooh wie aufregend machen, wenn ich es auch die ganze Zeit schon wusste, weil ich ihre unausgesprochene innere Stimme gehört hatte. Und an meinem Geburtstag sah ich alle Geschenke, noch ehe sie ausgepackt waren, in den Gedanken der Spender, und der Spaß an der Schatzsuche wurde mir verdorben, weil ich im Kopf meines Vaters jeden Hinweis erkennen, jeden Preis lokalisieren konnte. Und viel schlimmere Dinge wie zum Beispiel meinen Vater in seinem Büro im Erdgeschoss zu sehen, hier sind wir, und in dem Augenblick, in dem ich dort drinnen bin, ist mein Kopf voll von Gottweißwas für einem Schmutz, denn mein Vater denkt an seine Sekretärin, Alice oder Fernanda, sein neuestes Coca-Cola-Mädchen. Langsam zieht er sie in seinem Kopf aus, und in meinem Kopf spielt sich das gleiche ab, splitternackt sitzt sie auf einem Korbstuhl und erhebt sich nun, Riffelmuster auf dem Hintern, das denkt mein Vater, MEIN VATER, der mich jetzt ganz komisch ansieht. Was ist denn los Sohn geht’s dir nicht gut doch prima Abba prima muss jetzt gehen, MUSS MACHEN DASS ICH WEGKOMME, Hausarbeiten machen, Abba, und raus, lauf weg ehe er das verräterische Zeichen auf deinem Gesicht sieht (mein Vater sagte immer, dass ein rotes Licht auf meiner Stirn aufleuchtete, wenn ich log) ... Sie sehen, wie schwer es ist, mein Onkel Hanif kommt vorbei, um mich zum Ringen mitzunehmen, und schon bevor wir im Vallabhbhai-Patel-Stadion am Hornby Vellard angekommen sind, bin ich traurig. Wir gehen mit der Menge an den riesigen, aus Pappe ausgeschnittenen Figuren von Dara Singh und Tagra Baba und den Übrigen vorbei, und seine Traurigkeit, die Traurigkeit meines Lieblingsonkels, tröpfelt
in mich hinein, wie eine Eidechse lebt sie direkt unter der Hecke seiner Lustigkeit, verborgen durch sein dröhnendes Lachen, das einmal das Lachen des Fährmanns Tai war, wir sitzen auf vorzüglichen Plätzen, während das Flutlicht auf den Rücken der ineinander verknäuelten Ringer tanzt, und ich bin gefangen im unbezwinglichen Griff des Kummers meines Onkels, des Kummers um seine fehlschlagende Filmkarriere, ein Flop nach dem anderen, er wird wahrscheinlich nie wieder einen Filmauftrag bekommen. Aber ich darf die Traurigkeit nicht aus meinen Augen herauströpfeln lassen. Er mischt sich in meine Gedanken ein, he Phaelwan, he kleiner Ringer, was zieht denn dein Gesicht nach unten es sieht länger aus als ein schlechter Film willst du Channa? willst du

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