Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
Weißen beunruhigt zu sein, und Ärzte und so weiter aufsuchte, insgeheim doch eher erfreut war, als sie das Problem nicht erklären und kein Heilmittel verschreiben konnten, denn schon lange beneidete er Europäer um ihre Hautfarbe. Eines Tages, als es wieder gestattet war, Witze zu machen (nach Dr. Narlikars Tod hatte man einen angemessenen Zeitraum verstreichen lassen), erzählte er Lila Sabarmati bei der Cocktailstunde: «Die besten Menschen sind alle weiß unter der Haut; ich habe lediglich die Heuchelei aufgegeben.» Seine Nachbarn, die sämtlich dunkler waren als er, lachten höflich und fühlten sich merkwürdig beschämt.
Der Tatbestand deutet offenkundig darauf hin, dass der Schock über Narlikars Tod schuld daran war, dass sich ein schneeweißer Vater zu meiner ebenholzschwarzen Mutter gesellte; aber ich riskiere es (obwohl ich nicht weiß, wie viel Sie bereit sind zu schlucken), noch eine alternative Erklärung zu liefern, eine Theorie, entwickelt in der abstrakten Abgeschiedenheit meines Uhrturms ... denn auf meinen ständigen Psychoreisen entdeckte ich etwas recht Seltsames:
In den ersten neun Jahren der Unabhängigkeit befiel eine ähnliche Pigmentstörung (deren erstes bezeugtes Opfer wahrscheinlich die Rani von Cooch Naheen gewesen ist) scharenweise die Geschäftswelt der Nation. Überall in Indien stolperte ich über gute indische Geschäftsleute, deren Vermögen wuchs und gedieh dank des ersten Fünfjahresplans, der sich darauf konzentrierte, den Handel auszubauen ... Geschäftsleute, die in der Tat sehr, sehr bleich geworden waren oder wurden! Es scheint, dass die ungeheuren (sogar heroischen) Anstrengungen, die damit verbunden waren, die Macht von den Briten zu übernehmen und Herr des eigenen Schicksals zu werden, ihren Wangen die Farbe entzogen hatte ... falls das stimmt, war mein Vater vielleicht ein spätes Opfer eines weit verbreiteten Phänomens, das freilich im Allgemeinen nicht beachtet wurde. Die Geschäftsleute Indiens wurden weiß.
Daran hat man für einen Tag genug zu kauen. Aber Evelyn Lilith Burns kommt, das Café Pionier ist schmerzlich nahe, und – entscheidender – die anderen Kinder der Mitternacht, einschließlich meines Alter Ego Shiva – der mit den tödlichen Knien –, üben extrem starken Druck aus. Bald werden die Risse weit genug für sie sein, sodass sie hinausschlüpfen können ...
Übrigens: Irgendwann gegen Ende des Jahres 1956 fand höchstwahrscheinlich auch der Sänger und Hahnrei Wee Willie Winkie den Tod.
Liebe in Bombay
Im Ramzàn, dem Fastenmonat, gingen wir, sooft wir konnten, ins Kino. Nachdem wir um fünf Uhr morgens von der unermüdlichen Hand meiner Mutter wachgerüttelt worden waren, nachdem wir vor Morgengrauen Melonen und gezuckertes Limonenwasser zum Frühstück bekommen hatten, übernahmen das Messingäffchen und ich es abwechselnd (oder manchmal auch gemeinsam rufend), Amina zu erinnern: «Die Halb-Elf Uhr-Vorstellung! Es ist Metro-Kinderklub-Tag, Amma, biiiitte!» Dann die Fahrt mit dem Rover zum Kino, wo wir weder Coca-Cola trinken noch Kartoffelchips probieren würden, weder Kwality-Eiskrem noch Samosas in fettigem Papier; aber wenigstens gab es eine Klimaanlage und an unsere Kleider geheftete Kinderklub-Abzeichen und Wettbewerbe und Geburtstagsdurchsagen, die ein Conférencier mit einem spärlichen Schnurrbart machte, und schließlich nach der Vorschau, in der «Nächste Attraktion» und «Demnächst in diesem Theater» vorgestellt wurden, und dem Zeichentrickfilm («Gleich kommt der Hauptfilm, aber zuerst ...!») den Film Quentin Durward vielleicht oder Scaramouche. «Draufgängerisch!», sagten wir danach, wenn wir Filmkritiker spielten, zueinander, und «ein unflätiger Draufgänger außer Rand und Band!» – obwohl wir von Draufgängern und Unflätigkeit keine Ahnung hatten. Gebetet wurde nicht viel in unserer Familie (außer am Eid-ul-Fitr, wenn mein Vater mich in die Freitagsmoschee führte, um den Feiertag zu begehen, indem er mir ein Taschentuch um den Kopf band und die Stirn auf den Boden drückte) ... aber wir fasteten immer gern, denn wir mochten das Kino.
Evie Burns und ich stimmten überein: Der Welt größter Filmstar
war Robert Taylor. Ich mochte auch Jay Silverheels als Tonto, aber sein Komo-Sabay, Clayton Moore, war für die Rolle des Lone Ranger meiner Ansicht nach zu fett.
Evelyn Lilith Burns tauchte am Neujahrstag 1957 auf, um sich mit ihrem verwitweten Vater in einer Wohnung in einem der beiden
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